Ein ganz schön langer Prozess
15. Dezember 2016
antifa-Gespräch mit Robert Andreasch von »NSU-Watch«
antifa: Der NSU-Prozess zieht sich, über 300 Verhandlungstage sind es schon, dazwischen gab es immer wieder lange Pausen. Einerseits verlautet nun oft, dass er jetzt in seine Schlussphase gehe, dann gibt es aber doch wieder neue Entwicklungen, Zeugenbefragungen, die in eine andere Richtung zu weisen scheinen…
Robert Andreasch: Wenn über »den Prozess« gesprochen wird, sollten die Leute sich klar sein: Über was und über wen reden wir? Die Anklagebehörde etwa legt da ein ganz anderes Verhalten an den Tag als die Nebenkläger. Und die Verteidigung wiederum nochmal ein anderes. Während die einen Aufklärung blockieren, geben sich andere viel Mühe, echte Aufklärung herbeizuführen. Über die Frage, ob der Prozess nun schnell zu Ende geführt werden soll oder eher nicht, darüber gehen die Meinungen auseinander. Eines sollte klar sein: Wirkliche Aufklärung muss nach wie vor geleistet und immer wieder neu eingefordert werden. Das wird sich aber auch nicht ändern, wenn der Prozess vorbei ist. Dann geht die Arbeit wohl erst richtig los.
antifa: Wie kommt ihr als »NSU-Watch« mit der Länge des Verfahrens und dem bisherigen Vorgehen von Bundesanwaltschaft und Gericht zurecht?
Robert Andreasch: Das Programm des Gerichts, die Beweisaufnahme, scheint mir aus dessen Sicht eigentlich weitgehend abgeschlossen. Die Nebenklage-Beweisanträge wurden bisher zum größten Teil abgeblockt. Ob sich hieran nach der Wiederaufnahme der Verhandlungen in der letzten Oktoberwoche noch Wesentliches ändern wird, weiß ich nicht. Aber wir wissen ja auch nicht, wie lange die Plädoyers dann dauern werden und was sonst noch daherkommt. Persönlich finde ich, dass man das bisherige Dauern des Prozesses auch durchaus positiv sehen kann. Je länger er stattfindet, desto mehr könnte schließlich auch herauskommen und öffentlich werden. Es müsste dann allerdings auch ein ernsthafter Aufklärungswille erkennbar sein. Womit wir wieder bei der Frage wären: Wer blockt und wer will tatsächlich etwas ans Licht bringen.
antifa: Wenn es ums Blocken geht, denkt jeder sofort an die Fülle behördlicher »Pannen«, an Shredder-Aktionen, an die V-Leute des Verfassungsschutzes, an Merkwürdigkeiten bei polizeilichen Maßnahmen – an all das, was an falschen Fährten ja schon seit Beginn der Mordserie, um die es in diesem Prozess geht, gelegt wurde. Auch an »rassistische Ermittlungen«, wie die Nebenkläger richtig bemerken. Gab es hier im Verlauf des Prozesses neue Erfahrungen?
Robert Andreasch: Ich glaube schon. Die ursprüngliche Haltung, vor allem den Verfassungsschutz, aber auch andere Behörden betreffend, war ja: Die haben vorher nichts gewusst über diese Nazistrukturen, ihre Arbeit war dilettantisch, hat nichts getaugt. Inzwischen ist aber klar, dass dem ja oft gar nicht so war. Sondern dass da auf seltsamen Wegen ganz viel versandet ist. Dass es etwa in Brandenburg ein Krisentreffen zwischen der Bundesanwaltschaft und dem dortigen Verfassungsschutz gegeben hat. Wir wissen heute, dass eine Vielzahl von Informationen über den Verfassungsschutz und seine Informanten in den einschlägigen Szenen existiert. Dass – Beispiel Köln – auch bei Polizeibehörden wichtige Informationen vorhanden waren. Wurde das alles lediglich fehlinterpretiert oder verschlampt? Es gab immer wieder Hinweise, sogar auf Umzüge des NSU… Und die Behörden tun so, als hätten sie all das nur verschnarcht. Ich würde heute nicht mehr von einem »Nichtwissen« der Behörden sprechen. Das ist eigentlich noch viel schlimmer…
antifa: Dass der NSU mehr umfasst als die Dreier-Gruppe von der die Angeklagte Zschäpe übrig ist, dass es größere Organisationsstrukturen, Verzweigungen gegeben haben hat, wird immer deutlicher.
Robert Andreasch: Es ist schwierig, vom NSU als einer Organisation zu sprechen. Die einschlägigen Strukturen sind ja seit langem so aufgebaut, dass sich militante Neonazis netzwerkmäßig organisieren. Diese ganze Szene hängt schon zusammen. Es gab ja, auch das haben der Prozess und die damit verbundenen Recherchen zumindest teilweise ans Licht gebracht, ganz viele Neonazis, die für den NSU in der einen oder anderen Weise Unterstützung geleistet haben. Und es gab umgekehrt von diesem Briefe und andere Kommunikationsmittel, bis hin zu Bekennervideos, die sich direkt an die Szene richteten. Aktuell beispielhaft sind Aktionen, die Neonazis an verschiedenen Orten für den Angeklagten Ralf Wohlleben veranstalten. Bis hin zu dem Soli-Konzert, das vor kurzem in der Schweiz über die Bühne ging. Oder die »Blood & Honour«-Verbindungen des NSU… Vor solchen Hintergründen finden wir es schon seltsam, dass einige als »Mitglieder« des NSU angeklagt werden, andere aber nur »Unterstützer« sein sollen. Eine sehr künstliche Trennung…
Robert Andreasch, Journalist, und aktiv bei a.i.d.a. (Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e. V.), ist einer der Beobachter und Berichterstatter, die für »NSU-Watch« von Beginn an beim Prozess dabei sind, ihn im Internet dokumentieren, kommentieren etc. (https://www.nsu-watch.info). Um dies leisten zu können, haben sich antifaschistische Organisationen, Initiativen, Redaktionen und Einzelpersonen zusammengefunden. Andreasch: »Der größte Teil unseres Netzwerkes ist ehrenamtlich getragen. Bei jedem Prozesstag ist jemand von uns anwesend. Aber mit dem Hingehen zu den Verhandlungen ist es noch lange nicht getan.« Nicht alles ist ehrenamtlich möglich, das permanente Protokollieren der Verhandlungen etwa, die fremdsprachlichen Übersetzungen… Finanzielle Unterstützung ist deshalb auch weiterhin dringend erforderlich:
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Die Fragen stellte Ernst Antoni