Der »Schutzraum« schrumpft
23. Januar 2017
Antidemokratisches Potenzial aus der »Mitte der Gesellschaft«
Seit 2002 werden vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld Facetten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) untersucht. Ihre Ergebnisse werden seit 2006 im Zweijahresrhythmus in den sogenannten »Mitte-Studien« von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) herausgegeben. Die neuste Studie trägt den Titel »Gespaltene Mitte – feindselige Zustände«.
Die Studie belegt neben der Stabilität rechter Einstellungen in Teilen der Bevölkerung deren gleichzeitige Verlagerung hin zu neurechtem Denken. Trotz eines Anstiegs von Polarisierung und Gewaltbereitschaft bleibe die Stimmung in der Bevölkerung mit Blick auf die Flüchtlingssituation gelassen. Mit 56 Prozent finde mehr als die Hälfte der Bevölkerung die Aufnahme von Flüchtlingen gut. Parallel dazu geben 41 Prozent der Befragten an, dass sie selbst oder Menschen in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis sich für Flüchtlinge ehrenamtlich engagieren.
Die Vorurteils-Befragungen im Einzelnen zeigen mit einem Niveau von zwei Prozent rückläufige Abwertungen gegenüber homosexuellen Menschen und auch der offene Antisemitismus ist mit sechs Prozent Zustimmung rückläufig. Weiter stark ausgeprägt sind mit 19 Prozent muslimfeindliche Einstellungen und die Ablehnung von asylsuchenden Menschen. Abwertende Haltungen gegenüber langzeitarbeitslosen Menschen bewegen sich auf einem stabil hohen Niveau von 49 Prozent. Im Osten Deutschlands sind wiederum Fremdenfeindlichkeit, Muslimfeindlichkeit, die Abwertung von Sinti und Roma sowie asylsuchenden und wohnungslosen Menschen besonders stark ausgeprägt. Nicht überraschend ist die Tatsache, dass alle untersuchten menschenfeindlichen Einstellungen bei AfD-Anhängern überdurchschnittlich ausgeprägt sind, besonders mit 88 Prozent die Ablehnung gegenüber Asylsuchenden und 68 Prozent die Ablehnung gegenüber arbeitslosen Menschen. Dies bestätigt auch frühere Umfragen, nach denen die Haltungen gegenüber Geflüchteten weniger vom Einkommen oder anderen soziodemografischen Daten abhängent, sondern mehr von der politischen Grundhaltung. Die Daten bestätigen: Diejenigen, die die AfD gut finden, sind seit 2014 weiter nach rechts gerückt.
Die insgesamt überwiegend positive Einstellung der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen wird nur von einer Minderheit nicht geteilt. In ihrer Lebensweise sehen sich sechs Prozent und finanziell sieben Prozent durch Flüchtlinge bedroht. 35 Prozent meinen hingegen, dass sich der deutsche Staat mehr um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige Deutsche kümmere. Dieses gefühlte Ungleichgewicht ist wohl der signifikanteste Ausdruck der Spaltung der Mitte, die die Studie im Auge hat. Damit hat sich die Feindseligkeit gegenüber Muslimen und Geflüchteten weiter verschärft gegenüber der letzten FES-Studie, die noch von einer fragilen Mitte gesprochen hatte. Das Thema Flüchtlinge steht exemplarisch für die Gespaltenheit der Gesellschaft in eine Mehrheit, die Weltoffenheit, Toleranz und Gleichwertigkeit will und eine laute Minderheit, die Abschottung, nationale Rückbesinnung und Ungleichheit fordert.
Erstmals hat die FES-Studie neurechte Positionen erfasst, in denen über Begriffe wie »Identität« und Widerstand« eine nationalistisch-völkische Ideologie bedient wird. Das neurechte Meinungsmuster findet sich bei 28 Prozent der Bevölkerung und zeichnet sich durch Verschwörungsmythen einer vermeintlichen muslimischen Unterwanderung der Gesellschaft aus, durch die Beschimpfung des »Establishments« als illegitim, verlogen und betrügerisch und die Forderungen nach nationaler Rückbesinnung gegen die EU. Hinter Verschwörungsmythen mit Blick auf den Islam und die etablierte Politik, dem Einklagen von Meinungsfreiheit und dem Aufruf zum Widerstand verbergen sich nicht selten antidemokratische Haltungen. Der marktförmige Extremismus, den die Studie seit geraumer Zeit in den Blick nimmt, ist dabei ein wichtiger Vermittler zwischen AfD-Sympathie und menschenfeindlichen Haltungen. Zudem findet sich bei 40 Prozent derjenigen, die sich gegen Zuwanderung an Demonstrationen beteiligen, eine hohe Gewaltbereitschaft.
Die FES-Studie der Universität Bielefeld bestätigt viele Aussagen der Leipziger Studie »Die enthemmte Mitte« unter der Leitung von Elmar Brähler, die am 20. Juni 2016 in der Rosa-Luxemburgstiftung in Kooperation mit der Friedrich-Ebertstiftung und der Otto-Brenner-Stiftung präsentiert und bereits in der antifa besprochen wurden. Zwar seien die demokratischen Milieus in der letzten Dekade gewachsen, doch zeige sich die »Mitte« in der aktuellen Erhebung nicht als Schutzraum der Demokratie, sondern aus ihr könne ein großes antidemokratisches Potenzial erwachsen. Während die aktuelle Studie aus Bielefeld die stabilisierende Wirkung der demokratischen Mehrheit betont, schält die Leipziger Studie stärker die Fragilität des politischen Meinungsbildungsprozesses heraus.
Die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt die Stabilität rechtsextremer und rechtspopulistischer Einstellungen. Doch die Stimmung der Bevölkerung bezüglich der Flüchtlingssituation bleibe gelassen.