Was Sprache nicht vermag
16. Juli 2017
Nach 34 Jahren ist das Buch »KZ« auf Deutsch erschienen
1983 erschien dieses zeitlose Buch mit dem Untertitel »Zeichnungen aus den NS-Konzentrationslagern« zum ersten Mal in Italien. 2017 präsentiert der Wiener Verlag bahoe books (»Bahö« = Wienerisch für Aufruhr, Tumult, Wirrwarr, Radau) das bildreiche Werk in deutscher Sprache. Auf 280 Seiten sind mehr als 250 Zeichnungen und Grafiken von KZ-Insassen reproduziert. Arturo Benvenuti sammelte diese unter grausamsten Umständen gefertigten Zeichnungen in verschiedenen Archiven und Museen in London, Wien, Belgrad, Auschwitz, München, Krakau, Paris, Dachau, Theresienstadt, Budapest und Prag. Ergänzt (soweit bekannt) mit den Namen und Lebensdaten der NS-Opfer, einigen Gedichten und einem Vorwort von Primo Levi, liegt hier ein unschätzbares historisches Zeugnis vor. Arturo Benvenuti, geboren 1923 im Treviso, ist Literat, Maler, Kunstkritiker und Forscher. Bis heute kombiniert er sein soziales und politisches Engagement mit der Förderung von Kunst und Fotografie durch Ausstellungen in der ganzen Welt.
Lesen wir Benvenutis Abwägungen und Überlegungen: »Ich gebe zu, dass diese Arbeit nicht frei von Schwierigkeiten war, vor allem bezüglich der Sammlung und der Auswahl der künstlerischen Zeugnisse, die fast ausnahmslos in den nazi-faschistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern unter untragbaren Bedingungen und unter Lebensgefahr entstanden sind.
Was also? Ein Buch der Kunst oder der historischen Zeugnisse? Ein Zeugnis, obwohl gültig, muss nicht unbedingt den ästhetischen Anforderungen des Kritikers genügen. Ist es möglich – und rechtens, würde ich fragen – in einer besonderen Arbeit wie der vorliegenden, die Unbeugsamkeit des strengen Richters, des kalten Ästheten, zu bewahren?
Ich versuchte daher, beide Kriterien so weit wie möglich in Einklang zu bringen, ohne aus den Augen zu verlieren, dass meine vordringliche Absicht darin lag, mich mit den Zeugnissen zu beschäftigen. Diese stammen von Leuten unterschiedlichster Nationalitäten, weil es nur wenige Länder gab, die den Horror dieser ungeheuren Tragödie nicht erlebt und erlitten haben. …
Es kann – wie erwähnt – nicht nur die Ästhetik sein und zwar, weil sich neben den hervorragenden ›Blättern‹ professioneller Künstler und Künstlerinnen auch andere Werke finden, authentisch ›naive‹ Werke. Wir haben daher nicht selten Zeichnungen mit einer entwaffnenden Offenheit, oft Illustrationen, die sicherlich einen übermäßig beschreibenden Ansatz haben. Sie sind aber nicht weniger gültig im Hinblick auf die Darstellung jener ›Fakten‹ und ›Momente‹, von denen es gut gewesen wäre, wenn sie der Menschheit erspart geblieben wären. Und was sagt man zu den vielen Kinderzeichnungen, insbesondere zu jenen aus Theresienstadt?«
»Bis heute fehlte ein Buch wie dieses«, schreibt Primo Levi in seinem Vorwort. »Die hier abgedruckten Bilder sind kein Äquivalent und kein Ersatz dafür. Aber sie lösen die Worte ab. Sie stellen etwas dar, was die Sprache nicht auszudrücken vermag.«
Dem ist vom Rezensenten außer einer Kaufempfehlung nichts hinzuzufügen. Das Buch hat für uns Antifaschisten und Antifaschsitinnen einen künstlerischen und einen politischen Wert. Einzelne Zeichnungen kennt man, die meisten kennt man nicht. Sie eignen sich (auch) sehr gut zur Illustration zeitgenössischer politischer Schriften und Druckwerke (aber Achtung auf das Copyright!). Vergnügen bereitet das Betrachten der Bilder keines, doch das ist bei der Lektüre von Büchern mit unserem Thema selten. Das Buch ist wertvoll.