Gedränge am Tatort
25. Juli 2017
Im Mordfall Michele Kiesewetter bleiben viele Fragen offen
Vor zehn Jahren wurde die Polizistin Michele Kiesewetter in Heilbronn ermordet und einer ihrer Kollegen schwer verletzt. Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft waren in diesen zehn Jahren davon geprägt, dass falschen Spuren nachgegangen wurde und andere nicht verfolgt und einfach ignoriert wurden. Am Anfang war die Polizei davon ausgegangen, dass die Tat von einer Gruppe reisender Roma(!) verübt worden war.
Erst nach der Selbstenttarnung des NSU-Trios vollzog die Bundesstaats-anwaltschaft eine Kurskorrektur. Die rassistisch geprägten Ermittlungen wurden eingestellt und Mundlos und Böhnhardt als Täter präsentiert. Auf dem Bekennervideo, das Beate Zschäpe auf ihrer Flucht verschickt hat, ist eine kurze Sequenz mit Bildern vom Tatort in Heilbronn zu sehen.
Doch zehn Jahre nach dem Mord sind nach wie vor viele Fragen ungeklärt und die Staatsanwaltschaft lässt auch keine Bereitschaft erkennen, sie noch klären zu wollen. Da ist beispielsweise die Frage, warum gerade Michele Kiesewetter ermordet wurde. Bereits früh war klar, dass die Polizistin wie die Täter aus Thüringen kam. Der NSU ist aus dem Netzwerk des Thüringer Heimatschutzes hervorgegangen. Hier hatten sich unterschiedliche Kameradschaften und Nazigruppen unter der Führung von Tino Brandt organisiert. Teile dieser Gruppen hatten Kontakte zu Kriminellen, die in den Handel mit Waffen und Rauschgift verstrickt waren. Genau in diesem Milieu hat Michele Kiesewetter in Süddeutschland immer wieder verdeckt ermittelt. Am Tag vor ihrer Ermordung war sie mit einem Kollegen in einer Böblinger Pizzeria verabredet. Vor dem baden-württembergischen Untersuchungsausschuss hat er ausgesagt, dass sie sich an jenem Abend verfolgt und bedroht gefühlt habe.
Eine Auswertung der Funkzellendaten am Tatort hat ergeben, dass im Bereich des Tatorts allein 16 Handys eingeloggt waren, deren Besitzer Bezüge zur organisierten Kriminalität Osteuropas hatten. Obwohl die ermittelnden Beamten die Spur für so wichtig hielten, dass sie ihr weiter nachgehen wollten, wurden sie von der Staatsanwaltschaft gestoppt.
Die Staatsanwaltschaft hält auch bis heute alle Zeugen für unglaubwürdig, die unabhängig von einander mehrere Männer gesehen haben, die vom Tatort geflohen sind. Einer von ihnen soll »Davej, davej!« gerufen haben, bevor er in ein vorbeifahrendes Auto gesprungen ist. Davej ist russisch und heißt »los, schnell«. Trotz aller Hinweise, dass es mehr als zwei Täter gegeben haben muss, beharrt die Bundesstaatsanwaltschaft auf der These der beiden Einzeltäter. Vielleicht will sie damit verhindern, dass bekannt wird, wie viele Mitarbeiter von unterschiedlichen Geheimdiensten damals vor Ort oder in unmittelbarer Nähe waren.
Beim Untersuchungsausschuss in Baden-Württemberg hatte sich vor einigen Wochen eine Rechtsanwältin gemeldet, die aussagte, dass eine »Kontaktperson« ihr gesagt habe, zur Tatzeit auf der Theresienwiese in Heilbronn gewesen zu sein und dass es um Waffengeschäfte gegangen sei. Die Anwältin war eine der Verteidigerinnen im Prozess gegen die Sauerlandgruppe. Bei der Gruppe handelte es sich um Islamisten, die in Deutschland einen Anschlag verüben wollten, aber bereits während der Planungen von Verfassungsschutz und LKA überwacht worden sind.
Ein Verfassungsschützer aus Stuttgart war zu der Zeit ebenfalls auf dem Weg zur Heilbronner Theresienwiese. Er wollte sich nach eigenen Angaben mit einem Informanten aus der Ulmer und Neu-Ulmer Salafistenszene treffen. Zu diesem Treffen sei es dann aber wegen der hohen Polizeipräsenz nicht gekommen. Auf dem Weg nach Heilbronn wurde ein Auto wegen zu hoher Geschwindigkeit geblitzt. Als die Polizei das Kennzeichen prüfte, staunte sie nicht schlecht, auf ein Auto gestoßen zu sein, das vom amerikanischen Geheimdienst benutzt wird. Mittlerweile ist klar, dass ein Mitarbeiter des FBI auf dem Weg nach Heilbronn war. Der türkische Geheimdienst soll ebenfalls mit mindestens einer Person vor Ort gewesen sein.
Was, wenn hier zwei Geschehen fast zur selben Zeit am gleichen Ort stattgefunden haben? Zum einen war ein Treffen mit einem Informanten aus der Islamistenszene geplant. Vielleicht sollte sie wirklich mit Waffen versorgt werden. Dieses Treffen muss so brisant gewesen sein, dass Geheimdienstmitarbeiter verschiedener Ländern anwesend waren, oder sich auf dem Weg dorthin befanden. Gleichzeitig fand der Mord an Michele Kiesewetter statt. Wegen der hohen Polizeipräsenz kam es dann nicht zu dem geplanten Treffen. Und um die Operation der Geheimdienste zu decken unternahm die Bundesstaatsanwaltschaft anschließend alles in ihrer Macht Stehende, um von ihr abzulenken. Wenn die Ereignisse rund um den Mord an Michele Kiesewetter so betrachtet werden, ergibt auf einmal vieles Sinn.
Fast zur Nebensache wurde es dann, dass ein Filmteam des SWR, welches Aufnahmen anschaute, die kurz nach dem Mord gemacht worden sind, den Schriftzug des NSU an einer Wand in der Nähe des Tatorts entdeckte. Wer soll das gewesen sein? Für das LKA bestand die Heilbronner Naziszene immer nur aus handlungsunfähigen Trinkern.