Den Eltern auf der Spur
18. September 2017
Christian Weisenborns »Rote-Kapelle«-Film
Vor einigen Wochen hatte in zahlreichen deutschen Kinos ein neuer Dokumentarfilm Premiere: »Die guten Feinde – Mein Vater, die Rote Kapelle und ich« von Christian Weisenborn. Die »Rote Kapelle«: Das war der Name, den sich die Gestapo und »Abwehr«, die braunen Verfolger, ausgedacht hatten für die Menschen um das Ehepaar Harro und Libertas Schulze-Boysen, um Arvid und Mildred Harnack, um Adam und Greta Kuckhoff, Hans und Hilde Coppi und viele andere.
Der Name wird den Widerstandskämpferinnen und -kämpfern, um die es in dem Film geht, wohl weiter anhaften. Aus unterschiedlichen Gründen. Zuerst war es ein Gestapo-Konstrukt, das suggerieren sollte, es habe sich um ein von und aus der Sowjetunion dirigiertes Ensemble von Agentinnen und Agenten gehandelt. Waren einige von ihnen doch in politisch, militärisch und kulturell wichtigen Bereichen zugange. Zudem gab es in dieser – die Herkunft der Beteiligten, deren Berufe und politischen Präferenzen betreffend bunt gemischten – Gruppe schon mehrere, die sich kommunistischen »Zusammenhängen« zuordnen ließen.
Das Konstrukt wurde dann in Kalte-Kriegs-Zeiten in der alten BRD gerne wieder aufgegriffen und weiter verbreitet. Hatte man sich inzwischen doch darauf eingependelt, eventuell dem militärischen Widerstand vom 20. Juli 1944 eine gewisse Berechtigung zuzugestehen angesichts des sich damals abzeichnenden verlorenen Krieges. Und vielleicht noch den Studenten und deren Mitkämpfern von der »Weißen Rose« (bei deren Bewertung Religiöses gerne in den Vordergrund geschoben wurde). Für alles andere, den Arbeiterwiderstand, den kommunistischen besonders, gab es oft Verachtung und Diffamierung: »Landesverräter« eben…
Mit der Legende von der »Roten Kapelle« wurden in den 60er-Jahren die alten Nazi-Konstruktionen von den »russischen Agenten« aufgefrischt. Nicht nur in einschlägigen Rechtsaußen-Medien, sondern auch in Blättern wie dem »Spiegel« oder öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten. »Gewährsleute« blieben die einstigen NS-Verfolger. Juristen wie Manfred Roeder etwa, der an vorderster Stelle damals den Widerstandskämpferinnen und -kämpfern nachgestellt, sie Schauprozessen ausgesetzt und dafür gesorgt hatte, dass sie aufs Grausamste vom Leben zum Tode zu gebracht werden.
Der Schriftsteller, Dramaturg und Journalist Günther Weisenborn, der 1969 verstorbene Vater des Filmemachers, hatte einst versucht, diesen Nazi-Juristen Roeder und andere ehemalige Verfolger vor Gericht zu bringen. Günther Weisenborn, der selbst in der Widerstandsgruppe aktiv war und das Glück hatte, zu überleben, scheiterte mit diesen Versuchen. Roeder, der sich nach 1945 flink auf die »richtige« Seite im Ost-West-Konflikt zu schlagen wusste und – Thema: »Rote Kapelle« – dem US-Geheimdienst CIC antisowjetische Propagandahilfe leistete, blieb Zeit seines Lebens ein angesehener Mann und starb hoch geehrt in seiner hessischen Heimatgemeinde.
In der DDR sprach man von der Schulze-Boysen-Harnack-Gruppe, hielt die Erinnerung an deren Widerstand hoch, jedoch: »Die mit der politischen Entwicklung der Nachkriegsgeschichte verwobenen Deutungsmuster von Spionage und Landesverrat auf der westlichen Seite und von der sich an Beschlüssen der Führung der KPD orientierenden Widerstandsorganisation oder der mit der Sowjetunion verbundenen ‚Kundschaftergruppe‘ auf der östlichen Seite Deutschlands dominierten als komplementäre Fehleinschätzungen bis in die achtziger Jahre hinein die historische Publizistik«. So Hans Coppi, dessen Eltern von den Nazis wegen ihren Aktivitäten in der Widerstandsgruppe ermordet wurden, im Vorwort zur von ihm gemeinsam mit Geertje Andresen 1999 herausgegeben Edition der Briefe von Harro Schulze-Boysen.
Die alten Fehleinschätzungen will der 1947 geborene Christian Weisenborn nun mit seinem Film geraderücken. Ihm geht es darum, am Beispiel seiner Eltern und ihrer Freunde und Kampfgefährten aufzuzeigen, wie vielschichtig die Gruppe war, wie sie zusammenfand, was sie schließlich zum gemeinsamen Widerstand motivierte. Dies gelingt ihm mit Hilfe zahlreicher Bild- und Tondokumente, mit eingestreuten wissenschaftlichen Exkursen und eigenen Reflexionen.
Besonders beeindruckend sind alte Film-Aufzeichnungen von Gesprächen mit Joy, der Mutter des Filmemachers, deren spontane Authentizität, ihre musikalischen Beiträge… Deutlich wird, dass damals junge und nicht mehr ganz junge Leute mit effektiven und auch weniger effektiven Mitteln alles versuchten, dem Faschismus an der Macht zu trotzen. Und gleichzeitig fröhlich und gesellig sein wollten.