Geistige Wiedergeburt

geschrieben von Ulrich Schneider

27. September 2018

Antifa-Taschen-Jahrbuch für 1946 – »Kampf dem Faschismus«

Manchmal findet man in Antiquariaten kleine Raritäten, die einen interessanten Einblick in die Geschichte der antifaschistischen Bewegung eröffnen. Einen solchen Einblick vermittelt das »Antifa-Taschen-Jahrbuch für 1946«, das der Verfasser vor wenigen Wochen von einem Antiquar erhielt.

Herausgeber dieses Ende 1945 erschienen über 170 seitigen Jahreskalenders im A6-Format war Viktor Brychcy. Historische Details über sein Leben sind schwer zu finden, nur wenige Dokumente sind in Archiven überliefert. Als Geschäftsführer der Commerz-Werbung für Handel, Gewerbe und Industrie stellte er Ende 1945 einen Jahreskalender mit umfangreichen antifaschistischen Beiträgen zusammen, der sich vor allem durch Anzeigen von Unternehmen finanzierte.

Brychcy begründete die Herausgabe dieses Buches »mit Beiträgen für den täglichen Kampf gegen den Faschismus« – so auf dem Buchtitel – mit folgenden Worten: Möge dieses Buch »im Ablauf des ersten Friedens- und Aufbaujahres immer wieder an die moralischen und politischen Pflichten erinnern, deren Erfüllung allen antifaschistischen Kräften unseres Volkes auferlegt ist, um an der geistigen Wiedergeburt und der demokratischen Erneuerung unseres Vaterlandes mitzuarbeiten.«

Antifa-Almanach-1946

Antifa-Almanach-1946

Interessant ist das Verständnis dieser Publikation zum Thema Antifaschismus. Brychcy forderte, »ANTIFA« dürfe nicht zu einem »inhaltslosen Schlagwort« werden. Deshalb wolle man mit verschiedenen Stimmen »die Ursachen und Begleitumstände des Antifaschismus und seine Zielsetzungen« in dieser Broschüre erläutern. Und so ließ er in der Broschüre Jakob Kaiser zum Thema 20. Juli 1944, Bernhard Göring über den illegalen Kampf, Ernst Lemmer über das Jahr 1945, Paul Löbe über die faschistische Nomenklatura, Karl Germer über den bürgerlichen Widerstand und Hermann Schlimme über die illegale Gewerkschaftsarbeit zu Wort kommen.

Dass in dem Jahrbuch bewusst die politische Bandbreite der antifaschistischen Bewegung gezeigt werden sollte, zeigen die fünf Lebensbilder, die repräsentativ für die Opfer faschistischer Verfolgung standen: Josef Wirmer, ehemals Abgeordneter der Zentrumspartei, der dem Goerdeler-Kreis zugeordnet wird und am 8. September 1944 hingerichtet wurde.

Rudolf Breitscheid, der Repräsentant der SoPaDe, der von Paris aus den sozialdemokratischen Widerstand leitete und im August 1944 im KZ Buchenwald bei der Bombardierung des SS-Bereichs im Sonderlager ums Leben kam. Im Jahrbuch wird gesagt, er sei »von den Schergen Hitlers umgebracht worden.«

Wilhelm Leuschner, der ehemalige hessische Innenminister und Vertreter des ADGB in der Internationalen Arbeitsorganisation, der im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 verhaftet und gehängt wurde.

Ernst Thälmann, der Vorsitzende der KPD, an dessen Auftreten auf einer internationalistischen Kundgebung im Oktober 1932 in Paris erinnert wird. Bei ihm wird formuliert: »11 ½ Jahre durch Konzentrationslager geschleppt, und als der Untergang des Dritten Reiches Gewissheit wurde, gab man den Befehl zu seiner Ermordung«;

Karl-Friedr. (so die Schreibweise im Jahrbuch) Goerdeler, dessen Rolle als Oberbürgermeister von Leipzig und im 20.Juli benannt wird. »Nach dem 20. Juli versuchte Goerdeler nach dem Osten zu entkommen. Auf der Fahrt verriet ihn eine Frau. Goerdeler wurde am 2. II. hingerichtet.«

Wie schon in dieser Zusammenstellung erkennbar, schlichen sich im Jahrbuch verschiedene historische Unkorrektheiten ein. Zum Beispiel finden sich in der Übersicht »antifaschistischer Gedenktage« mehrere Fehler (so wird die Bücherverbrennung auf den 9. April 1933 terminiert), außerdem wird eine sozialdemokratische Geschichtsperspektive sichtbar, wenn beispielsweise am 9. November 1918 Scheidemann und die SPD genannt werden, die Ausrufung der freien, sozialistischen Republik durch Karl Liebknecht jedoch »vergessen« wird. Interessanterweise fehlt in dieser Auflistung auch die Erinnerung an die Judenpogrome vom November 1938 sowie weiterer Daten zur faschistischen Rassenverfolgung.

Ein besonderes Gewicht legte Brychcy auf das Verhältnis zur wiederentstehenden Gewerkschaft. Neben Hinweisen zu Sozialleistungen und den Regularien zum Krankengeldanspruch für Beschäftigte wird auch der Entwurf der »Grundsätze und Aufgaben der Freien Gewerkschaften« des Organisationsausschusses zum Aufbau eines FDGB in der sowjetischen Zone unter dem Titel: »Sichert die Einheit in den Betrieben« abgedruckt. Damit wollte die Redaktion des antifaschistischen Jahreskalenders ihre direkte Verbundenheit mit der Arbeiterbewegung erkennbar dokumentieren.

Diese kleine Broschüre aus dem Jahre 1945 zeigt anschaulich, welche gesellschaftliche Breite die Idee des Antifaschismus in den ersten Jahren nach der Befreiung von Faschismus und Krieg erreichte. Selbst in bürgerlichen Kreisen war es vollkommen unstrittig, von Faschismus und Antifaschismus zu sprechen – ganz im Gegensatz zu den heutigen Behauptungen von Verfassungsschutz und rechten Kritikern, die Antifaschismus in die »linksradikale Ecke« abdrängen wollen.