Mikrokosmos des 20. Jahrhunderts
25. Januar 2019
Ludwig Marum und seine deutsch-jüdische Familie
Warum Marum? Diese Frage steht als Überschrift auf der ersten von 30 Tafeln einer Wanderausstellung, die in den Räumlichkeiten der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin vom 15. November 2018 bis zum 10. Januar 2019 zu sehen war. Erarbeitet hatten die Präsentation »Ein Leben für Recht und Republik. Ludwig Marum 1882-1934« die Gedenkstätte, das Landesarchiv Baden-Württemberg und das Forum Ludwig Marum e.V. Mit ihr erhielt und erhält der Sozialdemokrat, Rechtsanwalt in Karlsruhe, 1919 von der badischen Nationalversammlung zum Staatsrat Gewählte, seit 1928 Mitglied des Reichstages, im März 1933 wieder gewählt, und nur wenige Tage danach verhaftet und von den Nazis am 29. März 1934 kaltblütig im badischen Konzentrationslager Kislau Ermordete, Anerkennung und Würdigung. In Karlsruhe wurden eine Straße und ein Gymnasium nach ihm benannt, alljährlich wird der Ludwig-Marum-Preis der Karlsruher SPD vergeben, auf dem Hauptfriedhof der Stadt befindet sich ein Ehrengrab, eine Stele von Gerhard Huber wurde vor der JVA Kislau in Bad Mingolsheim, dem ehemaligen KZ, aufgestellt, auf dem Friedhof der Sozialisten in Berlin wird sein Name auf der Ehrenmauer genannt, zahlreiche Publikationen sind erschienen, die jüngste über »Das letzte Jahr in Briefen«, ausgewählt und bearbeitet von Andrée Fischer–Marum (s. antifa Juli/ August 2017).
Leitsatz von Ludwig Marums beruflichen und politischen Handelns war stets »JUSTITIA REGNORUM FUNDAMENTUM – Gerechtigkeit ist das Fundament der Herrschaft«, so wie auch die Inschrift auf dem Portal des Oberlandesgerichtes Karlsruhe lautet. Als Anwalt von SPD-Mitgliedern, finanziell schlecht gestellten Mandanten oder in der Vertretung von sozialen und frauenrechtlichen Angelegenheiten, gewinnt er früh Anerkennung. Bis 1921 Stadtverordneter in Karlsruhe und ab 1914 Abgeordneter des badischen Landtages, tritt er als Parlamentarier nach dem Ersten Weltkrieg und der Novemberrevolution für die Verteidigung der jungen Republik ein. So arbeitet er als Jurist an der Schaffung einer Verfassung in Baden mit, die nach seinen Vorstellungen soziale Gerechtigkeit für alle Bürger und Mitbestimmungsrecht der Arbeiter garantieren soll. Die gleiche Haltung bestimmt sein Auftreten im Reichstag. Er erkennt die Krise, in der sich die Weimarer Demokratie befindet. In einer Rede am 2. Juni 1932 in Leipzig heißt es: »Wir stehen in einer Zeit, wo Kämpfe bevorstehen, wie wir sie die letzten 14 Jahre nicht gekannt haben. Kämpfe im Parlament und Kämpfe um das Parlament und vielleicht auch Kämpfe außerhalb des Parlaments.«
Öffentlich diffamiert wurde Ludwig Marum durch die Faschisten bereits am 9. Dezember 1932 während einer Reichstagssitzung, als ihm aus der Fraktion der NSDAP zugerufen wurde, dass er doch auswandern solle. Unfassbar für ihn, weil er bis zum Schluss an Demokratie und Gerechtigkeit glaubt. Er wird Opfer der diktatorischen Staatsmacht, ihres Terrorapparates und ihrer antisemitischen Politik. Mit der »Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat« vom 28. Februar 1933 wird Ludwig Marum bereits am 10. März verhaftet. Damit entledigen sich die Faschisten schnell und brutal eines Regimegegners. Seine Mörder wurden 1948 vom Landgericht Karlsruhe verurteilt. Ihre langjährigen Haftstrafen wurden in der späteren Bundesrepublik verkürzt. Die Universität Freiburg rehabilitierte Ludwig Marum erst 2007 durch die Rückgabe der Ehrendoktorwürde.
Ein unverzichtbares Kapitel der Ausstellung ist die Rekonstruktion der Verfolgungs- und Exilgeschichte der einzelnen Mitglieder der Familie Marum. Nach dem Verbrechen an dem Ehemann emigriert die Witwe mit den beiden Töchtern und dem Sohn nach Paris. Der Überfall Hitlerdeutschlands auf Frankreich stellt eine erneute Zäsur für die Familie dar. Die jüngste Tochter, Eva Brigitte, wird in das Vernichtungslager Sobibor verschleppt und dort ermordet. Die älteste Tochter, Elisa-beth, lebt bis zu ihrem Tod 1998 in den USA. Die Mutter sowie der Sohn Hans und dessen Familie fliehen nach Mexiko. Sie kehren 1947 in die SBZ zurück. Die Teilnahme von über 40 Nachkommen der Familie aus Israel, Großbritannien, den USA, Australien, den Niederlanden und Deutschland an der Eröffnung der Präsentation, war für die Gekommenen ein Treffen und Wiedersehen oft nach Jahrzehnten. Ihr Anliegen war es, gemeinsam an Ludwig Marum zu erinnern. Seine Biographie und ihre Lebenswege, diese deutsch-jüdische Familiengeschichte, kann als »Mikrokosmos des 20. Jahrhunderts« gelten. Diesen Satz liest der Besucher als Antwort auf die Frage »Warum Marum«?
Zu wünschen wäre, dass sich zahlreiche öffentliche Orte finden, an denen die Ausstellung gezeigt wird. Die Eintragungen im Gästebuch bestätigen das eindringlich: »Danke, dass Sie diesen beeindruckenden Juristen und Demokraten so würdig ehren. Leider braucht auch unsere Zeit Ludwig Marums. Ich hoffe, wir haben genug so mutige, aufrechte Menschen Im Großen und im Kleinen.«