Stele informiert über Täterort
20. Mai 2019
Die »Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle« in Berlin
Am 29. März 2019 wurde endlich am authentischen Ort Unter den Eichen 82-84 Ecke Bötticherstraße im heutigen Bezirk Steglitz-Zehlendorf eine Stele zur Information über die dort ab 1936 befindliche »Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle« enthüllt.
Zur würdigen Übergabe der Stele sprachen Ralf Wieland, Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Petra Rosenberg, Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e.V. und Frank Mückisch, Bezirksstadtrat für Bildung, Kultur, Sport und Soziales von Steglitz-Zehlendorf.
Im Folgenden einige Auszüge aus der Rede von Petra Rosenberg:
»An diesem Ort befand sich von 1919 bis 1945 das Reichsgesundheitsamt. 1936 wurde hier die »Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle« eingerichtet. Der Tübinger Psychiater und Rassenforscher Robert Ritter, Initiator und Leiter der Forschungsstelle, baute diese mit finanzieller Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf. Ab 1941 übernahm er die Leitung des neugegründeten kriminalbiologischen Instituts der Sicherheitspolizei im Reichskriminalpolizeiamt.
Gemäß der NS-Rassenideologie und der Nürnberger Gesetze von 1936 zählten Sinti und Roma wie Juden zu den »außereuropäischen Fremdrassen«. Mit gesetzlichen und polizeilichen Maßnahmen wurden sie systematisch ausgegrenzt und diskriminiert. 1938 ordnete der Reichsführer-SS Heinrich Himmler per Erlass die umfassende Registrierung aller Sinti und Roma an. Den Auftrag dafür erhielt Ritters »Rassenhygienische Forschungsstelle« in Zusammenarbeit mit dem Reichssicherheitshauptamt.
Erfassung für die Vernichtung
Zu den ersten sogenannten Forschungsobjekten Robert Ritters und seines Mitarbeiterstabs zählten auch die ab Sommer 1936 im Zwangslager Marzahn internierten Sinti und Roma, die im Lager aufgesucht oder in die Forschungsstelle bestellt wurden, wo sie wissenschaftlich fragwürdige Untersuchungen über sich ergehen lassen mussten wie auch Befragungen bzw. Verhöre. Durch das Erlernen der Sprache der Sinti und Roma, dem Romenes, schlichen sie sich in das Vertrauen der Menschen.
Ihre unter rassen- und kriminalbiologischen Gesichtspunkten geprägten Forschungen waren nicht nur von stereotypen Vorurteilen geprägt, sie dienten der Erfassung, Verfolgung und schließlich der Vernichtung.
Demütigende Tests und Gewalt
Die an Sinti und Roma vorgenommenen rassenbiologischen Vermessungen, genealogischen Befragungen und Erhebungen, die demütigenden Tests und Versuche wurden nicht selten unter Androhung oder mit direkter Anwendung von Gewalt ausgeführt.
Auf diese Weise registrierten die Mitarbeiter der »Rassenhygienischen Forschungsstelle« systematisch Sinti und Roma reichsweit und erstellten bis März 1944 rund 24.000 »Gutachterliche Äußerungen«, die die Grundlage für Zwangssterilisationen und Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager bildeten.
Die Verfolgung der Sinti und Roma begann mit der unmittelbaren Erfassung und der Selektierung nach rassistischen Kriterien und endete schließlich mit dem Versuch der Ermordung der gesamten Minderheit. 500.000 Sinti und Roma fielen dem nationalsozialistischem Rassenwahn zum Opfer.
Nach 1945: Keine Verurteilung
Weder Robert Ritter noch sein Mitarbeiterstab wurden nach 1945 strafrechtlich verurteilt; die gegen sie angestrebten Verfahren wurden aus Mangel an Beweisen niedergeschlagen. Ritter erhielt eine Anstellung in der Jugendpsychiatrie im Gesundheitsdienst der Stadt Frankfurt. Er wurde zudem als Gutachter von Entschädigungsämtern zu Rate gezogen, wenn es um Wiedergutmachungsleistungen für Sinti und Roma bzw. um ihre Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus ging.
Überfälliges Anliegen erfüllt
Mein Vater Otto Rosenberg blieb von den abstrusen Studien der Rassenforscher ebenfalls nicht verschont. Die Krankenschwester Eva Justin, engste Mitarbeiterin von Robert Ritter, hatte ihn sich als ihr ganz persönliches Versuchsobjekt auserkoren. In seinen Erinnerungen mit dem Titel »Das Brennglas« schildert er die Begegnungen und seine Erlebnisse mit ihr…
1988 erinnerte hier am authentischen Ort erstmals eine Ausstellung an die Tätigkeiten der Forschungsstelle und des Reichsgesundheitsamts im Nationalsozialismus; nach der Begegnung mit meinem Vater regten zwei Schüler einer Lichtenberger Oberschule eine Gedenktafel an, die 1995 vor Ort angebracht wurde.
Und wenn wir heute hier am authentischen Ort der Öffentlichkeit diese längst überfällige Informationstele zur ›Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle‹ übergeben, dann ist mir das nicht nur eine Freude, es ist die Erfüllung eines längst überfälligen Anliegens.«