Enttäuschte Hoffnungen
20. Mai 2019
Opfer der Pinochet-Diktatur kämpfen bis heute um Gerechtigkeit
Ich bin eine ehemalige politische Gefangene. Im März 1975 wurde ich während der Militärdiktatur festgenommen, entführt und gefoltert. Im Juni 1976 wurde ich von einem Kriegsgericht zu über zwölf Jahren Haft verurteilt. Begründung: Ich war Mitglied der Sozialistischen Jugend Chiles und damit Anhängerin der Regierung Allendes. Nach zwei Jahren Haft wurde dank des Eingreifens des Internationalen Roten Kreuzes, der Europäischen Flüchtlingskommission und des Druckes einiger Solidaritätsorganisationen meine Strafe in Verbannung umgewandelt und ich wurde zusammen mit meinem ebenfalls inhaftierten Mann in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben.
Nachdem im Jahr 1988 Pinochet ein Plebiszit verloren hatte, konnte im März 1990 in Chile wieder eine demokratisch gewählte Regierung ihr Amt antreten. Da beschlossen mein Mann und ich, mit unseren Kindern nach Chile zurückzukehren. Wir waren voller Hoffnungen und Träume. Der Respekt der Menschenrechte würde in Chile nicht nur eine hohle Phrase sein, sondern die Leitlinie für alle Vorhaben in unserem Land. Viele dieser Erwartungen wurden aber durch die Wirklichkeit zerstört.
Pinochet hatte in einem geheimen Abkommen für den Übergang durchgesetzt, dass es Straffreiheit für ihn selbst und die Verbrechen geben würde, die 17 Jahre lang während der Diktatur von Militär und Geheimdienst begangen worden waren. Ferner durfte Pinochets Verfassung nicht geändert oder abgelöst werden. Und per Gesetz wurde verordnet, dass Aussagen der Opfer von Folter und Verbrechen 50 Jahre lang geheim bleiben müssten. Selbst Gerichte haben keinen Zugang zu diesen Dokumenten. Dieses Gesetz verstößt vollkommen gegen die von Chile unterzeichneten internationalen Abkommen.
Überdies wurden als Opfer der Diktatur nur die verschwundenen und ermordeten Gefangenen staatlich anerkannt, deren Verwandte eine kleine Entschädigung erhielten. Die Überlebenden von Folter und Gefangenschaft müssen nach wie vor um Anerkennung, Entschädigung sowie für die Bestrafung der Täter kämpfen.
So erkannten wir im Laufe der Jahre, dass die neu gewählten Obrigkeiten nicht den politischen Willen hatten, sich dem Thema der Verbrechen an der Menschlichkeit während der Diktatur so zu stellen, wie es notwendig gewesen wäre. Deshalb haben sich ehemalige politische Gefangene im ganzen Land entschlossen, die Organisation UNExPP de Chile zu gründen, in der sie gegen das Vergessen und für Gerechtigkeit zu kämpfen.
.Angesichts der Verständnislosigkeit und der Weigerung der Regierungsvertreter, gemeinsam eine Lösung für unsere Anliegen zu finden, traten im Jahr 2015 mehr als 100 politische Ex-Häftlinge im Alter von 60 bis 80 Jahren in vielen Städten unseres Landes in einen über 70-tägigen Hungerstreik. Aber ausgerechnet die Hungerstreikenden in der Parteizentrale der Sozialistischen Partei, denen zuvor ein Gespräch mit der damaligen Regierungschefin verheißen worden war, wurden in der Nacht gewaltsam ins Polizeikommissariat gebracht und die in ihrem Besitz befindlichen Dokumente über Verschwundene verbrannt.
Deshalb appellieren wir an Euch: Gerechtigkeit, Aufdeckung der Wahrheit, Bestrafung der Verbrecher und Entschädigung der Opfer darf nicht nur eine Sache der Opfer selbst sein, sondern hat größte Bedeutung für die Aufarbeitung unserer Geschichte und somit für unsere Zukunft. Nachdem wir auf Grundlage der Dokumente unserer Genossen und Genossinnen schon 6 Sammelklagen gegen Folterer bei der Lateinamerikanischen Menschenrechtskommission eingereicht haben, warten noch 2.000 Dossiers auf Bearbeitung. Um eine rechtskundige Person mit deren Bearbeitung zu beauftragen, benötigen wir ungefähr 400 Euro im Monat. Die VVN-BdA Hamburg hat uns ein Spendenkonto zur Verfügung gestellt, das uns bei der Bewältigung dieser Anstrengung helfen wird.
Nelly Cárcamo Vargas hat während der Pinochet-Diktatur in Chile viele Jahre im Exil in Bad Oldesloe verbracht. Heute ist sie die Vorsitzende der Nationalen Vereinigung ehemaliger politischer Gefangener in Chile (UNExPP), die seit 2017 auch Mitglied der FIR ist. Ende Februar 2019 war sie zu Besuch in Hamburg und hat im Rathaus vor rund 200 Menschen, viele von ihnen Freundinnen und Freunde, gesprochen Wir baten sie um eine Zusammenfassung ihrer Rede für die antifa.
Spendenkonto: VVN-BdA HH, Verwendungszweck: Chile. IBAN: DE79 2005 0550 1206 1518 03.
Auch in der aktuellen Politik zeigten die gewählten Regierungen, dass das Eintreten für Menschenrechte nicht zu ihren Prioritäten gehört. So wurde gegen Aktivisten der indigenen Mapuche, die für ihre Rechte kämpfen oder gegen Proteste von Studenten gegen ein profitorientiertes teures Bildungssystem oft mit einer Brutalität vorgegangen, die man wohl als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnen muss