Einheit ist eine Waffe
17. Juli 2019
Zur Lage im Sudan nach der Absetzung von Omar al-Bashir durch das Militär
Am 30. Juni 1989 riss im Sudan Omar al-Bashir die Macht durch einen Militärputsch gegen eine zivile Regierung an sich. Dabei wurde er von der Islamischen Partei massiv ideologisch unterstützt. Schon zu Beginn seiner diktatorischen Herrschaft wurden Tausende entlassen und verhaftet. Nach der Ermordung von 28 Generälen, die sein Regime kritisiert hatten, im Ramadan 1993, begann eine massive Auswanderung aus politischen und ökonomischen Gründen, die die Wirtschaft des Landes erheblich beeinträchtigte.
Gleichzeitig begann im Süd-Sudan der Widerstand gegen die neuen Regeln für das öffentliche Leben, die die Islamische Partei durchgesetzt hatte. Er führte bald zur Forderung nach Unabhängigkeit und eigener Verfügung über das Öl. Da das sudanesische Öl vor allem aus dem Süden stammt, bedeutete das ökonomische Probleme für das Land. Auch in anderen Teilen des Landes kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen, die mit der Bildung einer großen Zahl von schwer bewaffneten Stammes-Milizen einherging. Die Wirtschaft litt unter den verschwenderischen Militärausgaben und wachsender Korruption, die Unterstützung von weltweit operierenden Terrorgruppen durch al-Bashir und seine Verstrickung in Anschläge führten zu Sanktionen, die die ökonomische und soziale Situation weiter verschlechterten.
Linke und andere sozialen Kräfte begannen sich zu organisieren und entwickelten politische Kampagnen mit Forderungen, die alle Menschen im Land vor Hunger und Armut bewahren würden. Diese haben in den vergangenen Jahrzehnten die Grundlage für die Revolution gelegt, die wir heute im Sudan erleben.
Die Bürgerproteste gegen die Regierung begannen im Dezember 2018 zunächst wegen der stark gestiegenen Brot-Preise, der allgemeinen Verschlechterung der Lebensbedingungen und des zunehmenden Zerfalls staatlicher Infrastruktur. Schnell entwickelte sich daraus die Forderung nach dem Rücktritt al- Bashirs. Es begann in Städten mit starker Arbeiterschaft wie al Damazin, Port Sudan, Qadrif und Atbara vor allem in Norden und Osten des Landes, ebenso wie in der Hauptstadt, bis alle gemeinsam nach Khartum zogen, um einen zivilen Staat und das Ende der Militärdiktatur zu fordern. Beim Rücktritt von al-Bashir und wenig später, als der General und Übergangspräsident ibn Ouf zurücktrat, waren 4 Millionen Menschen mit der Forderung nach einer zivilen Regierung auf den Straßen.
Die Sudanese Professionals Alliance (SPA), eine Allianz aus 17 Branchengewerkschaften, übernahm in diesen Auseinandersetzungen die Führungsrolle, forderte die Demonstranten auf, keine Waffen auf das Militär zu richten und verlangte von der Regierung, den friedlichen Protest zu respektieren. Am 1. Januar veröffentlichte sie gemeinsam mit 21 weiteren fortschrittlichen Organisationen die »Erklärung für Freiheit und Wandel«, die Grundlage eines breiteren Bündnisses ist. Unsere Stärke liegt in unserer Einheit und der Orientierung auf den Frieden. Das führte dazu, dass sich auch Teile des Militärs mit den demonstrierenden Massen solidarisierten und sich weigerten, auf sie zu schießen. Dennoch wurden die friedlichen Demonstrationen immer wieder angegriffen, um sie aufzulösen. Tränengas, Gummigeschosse, aber auch immer wieder Schusswaffen wurden eingesetzt. Die Toten und Verwundeten trugen zur Empörung der Bevölkerung bei und ließen die Proteste nicht abreißen: im Mai erreichte die Beteiligung mit 6 Millionen – das bedeutet jeder sechste Einwohner – ihren Höhepunkt. Bemerkenswert ist, dass eine deutliche Mehrheit dieser Menschen Frauen sind, ebenso wie die Sprecherinnen des Bündnisses für Freiheit und Wandel.
Am 11. April verkündeten die Militärs die Absetzung von Omar al-Bashir und den Beginn einer zweijährigen Übergangsperiode, die mit Wahlen enden soll, nach denen die Macht von der Militärjunta übergeben werden soll. Diese Ankündigung wurde von der sudanesischen Bevölkerung mit Empörung aufgenommen, weil sie einen zivilen Staat fordert. Schon seit dem 6. April hatten Millionen von Demonstranten aus der gesamten Region um Khartum begonnen, den Platz vor dem Hauptquartier zu besetzen und dieses sit-in wurde bis zu seiner gewaltsamen Auflösung am Ende des Ramadan, am 3. Juni, aufrechterhalten. Hunderte wurden getötet; weil viele Leichen in den Nil geworfen wurden, ist es schwer, eine exakte Zahl zu nennen. Mehr als 500 Menschen wurden schwer verletzt. Die Abschaltung des Internets hat die Kommunikation zwischen den Sudanesen in- und außerhalb des Landes extrem erschwert, so dass es schwierig ist, an zuverlässige Informationen zu kommen.
Nach dem Massaker hat die Afrikanische Union die Mitgliedschaft des Sudan ausgesetzt. Saudi-Arabien, die Emirate und Ägypten unterstützen weiter den Militärrat und die westlichen Länder hüllen sich, ebenso wie die meisten Medien, in Schweigen.
Am 30. Juni werden Sudanesen überall im Land und weltweit auf die Straßen gehen, um deutlich zu machen, dass sie ihren Traum von einem zivilen Staat, gesellschaftlichem Frieden, sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit für alle nicht aufgeben, sondern weiter dafür kämpfen, dass er Wirklichkeit wird.
Die Erklärung für Freiheit und Wandel ist auf der Seite der SPA dokumentiert: www.sudaneseprofessionals.org/en/declaration-of-freedom-and-change/
Unser Autor Ali Ahmed lebt seit 2013 in Hamburg und ist Aktivist der Gruppe »Lampedusa in Hamburg«. Aktuell ist er einer von fünf Sprecher*innen, die die Interessen der sudanesischen Aufstandsbewegung im Ausland vertreten.
Übersetzung aus dem Englischen Cornelia Kerth