Verschleiern und Verschleppen
12. August 2019
Der Mord an Walter Lübcke verdeutlicht erneut die Bedrohung von rechts
Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten und CDU-Politiker Walter Lübcke hat eine Reihe von Zuständen ins Licht gerückt, die bis dahin in Politik und Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet geblieben sind oder gar aktiv verdunkelt wurden. Es sind die Zustände, die zu dem Mord gewissermaßen beigetragen haben.
Wesentlich ist dabei das nach rechts gerückte politische Klima in unserer Gesellschaft. Zu dessen Verursachern gehören nicht nur Pegida und AfD, sondern auch Politiker demokratischer Parteien, die wie beispielsweise Bundesinnenminister Horst Seehofer, die Migration zur »Mutter aller Probleme« erklärten.
Speziell im Fall des Lübcke-Mordes ist ein krasses Beispiel das Verhalten der langjährigen CDU-Politikerin und heutigen AfD-Mitwirkenden Erika Steinbach. Sie verbreitete bereits in den zurückliegenden Jahren mehrmals und nunmehr im Februar erneut ein Video über Walter Lübcke, das in rechten Kreisen zur Hetze gegen den CDU-Politiker bis hin zu Morddrohungen benutzt wurde. Auch Steinbachs neue Verbreitung führte wieder zu Hass-Mails und Morddrohungen, die im übrigen von Frau Steinbach lange Zeit nicht gelöscht wurden, also weiter zu Hass-Kommentaren animierten. Man könnte es Beihilfe zum Mord nennen.
Zu den wesentlichen Ursachen, die zu solch einem Ausmaß der Bedrohungen von rechts geführt haben, gehört ebenso die bislang bis zur Leugnung reichende Unterschätzung und Bagatellisierung, wenn nicht gar Verschleierung der rechtsterrorisitischen Bedrohungen. Sie gibt den rechtsextremen Kräften Raum und Freiheit.
Zur Verschleierung trägt die »Einzeltäter«-These bei, wie sie jetzt auch vom Täter benutzt wird. Tatsächlich kommt nahezu jeder »Einzeltäter« aus einer Umgebung, ohne die er nicht zum Täter geworden wäre. Das gilt erst recht für Stephan Ernst, der in und mit Neonazi-Gruppen bereits mehrmals gewalttätig aktiv war, was in einigen Fällen auch zu seinen Verurteilungen geführt hat.
Vor allem: Er gehörte auch zum Umfeld des NSU. Sein Name tauchte beim hessischen NSU-Untersuchungsausschuss auf, wo Unterlagen über ihn vom Verfassungsschutz jedoch unterdrückt wurden. Ähnlichkeiten zur Deckelung der Aufklärung der Morde des NSU durch die Verfassungsschutzbehörden sind nicht zu übersehen.
Der bereits mehrfach vorbestrafte Gewalttäter Stephan Ernst war angeblich beim Verfassungsschutz »nicht auf dem Schirm«. Er sei in den letzten zehn Jahre rechtsextrem nicht mehr auffällig geworden. Also kümmerte man sich nicht mehr um ihn.
Im Gegensatz zu der erneut auftretenden Untätigkeit seitens der Behörden sind rechtsextreme Gruppierungen in Sicherheitsbehörden hingegen selbst eifrig tätig. Es handelt sich um rechtsextreme Kreise, Gruppen und Netzwerke in der Polizei, der Bundeswehr, im Verfassungsschutz und in der Justiz. Sie sind eine weitaus größere Gefahr als vermeintliche »Einzeltäter«. Sie verfügen über Waffen, Zugang zu sensiblen Daten und erstellen – wie bekannt geworden – Einsatzplanungen für den »Tag X«, an dem sie die Macht ergreifen wollen. Sie sollen bereits Feindes- und Todeslisten vorliegen haben.
Auch hier stoßen wir auf der Seite der politisch Verantwortlichen und Sicherheitsbehörden wieder auf Verschleierungen und Verschleppungen. Mögliche Zusammenhänge zwischen Verschleierung und Untätigkeit einerseits und rechtsextreme bis hin zu terrorisitische Bestrebungen in den eigenen Reihen andererseits sind augenfällig.
Trotz des berechtigten Aufschreis über den Mord an dem Politiker Walter Lübcke ist es notwendig, darauf hinzuweisen, dass es seit den 90er Jahren bereits über 190 rechtsextrem oder rassistisch motivierte Tötungen von Menschen, meist Migranten und Obdachlose, hierzulande gegeben hat. Auch hier erfolgte und erfolgt bis heute behördlicherseits eine Bagatellisierung durch das Herabstufen auf angeblich viel weniger Fälle.
Die nunmehr wieder laut gewordenen Aufrufe zum Widerstand und Aufstehen gegen die rechten Bedrohungen klingen scheinheilig aus dem Munde derjenigen, die gleichzeitig dafür verantwortlich sind, dass Antifaschisten, die gegen Nazis aktiv sind, als »Extremisten« hingestellt und kriminalisiert werden.
Exemplarisch dafür ist der sächsische Verfassungsschutzbericht, der Pegida als »demokratisch«, das große Konzert nach den Angriffen der Nazis in Chemnitz dagegen als »extremistisch« einordnet. Von einem solchen Verfassungsschutz ist kein Vorgehen gegen rechte Bedrohungen zu erwarten. Es bleibt die Aufgabe aller demokratischen Kräfte, der rechten Gefahr entgegenzutreten. In mehreren Städten ist das bereits geschehen.
Die in den Regierungen von Bund und Ländern politisch Verantwortlichen für Polizei und Justiz sind dennoch nicht zu entlassen aus ihrer Verpflichtung, mit allen ihnen längst zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Bedrohungen von rechts wirksam vorzugehen. Das müssen auch wir von ihnen verlangen.