Solidarität statt Ausgrenzung!
10. Dezember 2019
Gegen alle, die Geschichte umschreiben oder überschreiben wollen
Wie sehr Antisemitismus, Rassismus, Antifeminismus, Antiziganismus und der Kampf gegen alles Linke zusammenhängen, hat der Terroranschlag von Halle wieder gezeigt. Nein, das war kein Einzeltäter. Dahinter steht der Antisemitismus, der antimuslimische Rassismus, ermöglicht durch die Mithilfe von Regierung und Medien, die mitschuldig sind am weit nach rechts verschobenen gesellschaftlichen Klima.
Seit Jahren warne ich: »Ihr sagt: Wehret den Anfängen? – Nein, das ist längst überholt, wir sind mittendrin«! Wie konnte es so weit kommen, dass jüdische Menschen in diesem Land nur noch geschützt werden durch stabile Sicherheitstüren – und nicht mehr durch die Lehren aus der Geschichte? Den Antisemitismus gibt es seit dem Mittelalter in der Mitte unserer Gesellschaft, er ist ein Ausdruck der Diskriminierung von Minderheiten wie Juden, wie Roma und Sinti. Jetzt heißt es: Die Muslime sind an allem schuld … oder die Geflüchteten, oder die Antifa, oder … »Der Ton in der Debatte ist rauer geworden, besonders gegenüber Zuwanderern. In dem Moment, wo Partizipation und Zugehörigkeit zu diesem Staat über Herkunft, über völkische Herkunft definiert wird, in dem Moment erweitert man die Grenzen des rassistisch und antisemitisch Sagbaren, ohne dass man es speziell so nennen muss«, sagte Stefanie Schüler-Springorum gerade. Nein, wir wollen uns nicht gewöhnen an Meldungen über antisemitische Attacken in Berlin und anderswo. Wir wollen uns nicht gewöhnen an Berichte und Theorien, die von linken und rechten Rändern sprechen und der guten Mitte. Die wird dort verortet, wo die Vertreter der »Extremismustheorie« selbst sind: im rechtskonservativen Milieu. In vielen Institutionen hat sich diese fatale Gleichsetzung von rechts und links durchgesetzt, sehr lange wurde so der Rechtsextremismus als Randgruppenphänomen eingeordnet – zu lange.
Wir haben nach 1945 erlebt, wie schnell der Antifaschismus nach 1945 in Zeiten des Kalten Krieges ersetzt wurde. Wir haben erlebt, wie die Nazi-Verbrecher davonkommen konnten. Und wir haben erlebt, wie Adenauer Nazis in die Regierung holte. Wir haben das große Schweigen nach 1945 erlebt und wie das Unrecht so akzeptiert wurde! Es ist für uns Überlebende unerträglich, wenn heute wieder Naziparolen gebrüllt werden, wenn Menschen durch die Straßen gejagt und bedroht werden, wenn Todeslisten kursieren: Das fühlt sich an wie damals in Auschwitz. Immer den Tod vor Augen. Ich verstehe nicht, dass die Regierung nicht handelt!
Es ist für uns Überlebende unerträglich, wenn ausgerechnet diejenigen Repressalien ausgesetzt werden, die seit Jahrzehnten den Kampf gegen Neonazis, gegen Antisemitismus, gegen Diskriminierung führen, die Antifa, wenn von »Bildung krimineller Vereinigungen« und »Entgrenzung« in Zusammenhang mit ihnen gesprochen wird. Es ist unerträglich, wenn ein paar Antifa-Aufkleber in Schulen Anlass für Denunziationen über Petzportale von Rechten werden. Und wenn dann Medien und Politik diese Verleumdungen nicht hinterfragen, ist der Schaden irreparabel.
Menschen wie ich, die den NS-Terror und die Konzentrationslager überlebt haben, sind froh über jeden einzelnen, jeden einzelnen Antifa, der mit uns streitet für eine andere, bessere Gesellschaft ohne Diskriminierung, Verfolgung, Antisemitismus, Antiziganismus, gegen Ausländerhass. Und der gegen die Ausbeutung der Menschen und unseres Planeten kämpft, Hilfesuchende unterstützt und Geflüchtete aus Seenot rettet.
Niemand hierzulande sollte für antifaschistisches Handeln, für gemeinsame Aktionen gegen den Hass, gegen alte und neue Nazis diskreditiert und verfolgt werden! Wir fordern, dass die Regierenden handeln und nach den grausamen Erfahrungen des Nationalsozialismus die erste Pflicht nach unserem Grundgesetz erfüllen: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt« (Art. 1 GG).
Wir fordern, endlich nach Artikel 139 Grundgesetz und entsprechend dem Potsdamer Abkommen das Verbot aller faschistischen Nachfolgeorganisationen, ihrer Schriften, ihrer Embleme, ihrer Aktivitäten! Das sind wir den Millionen Opfern der faschistischen Verbrechen schuldig.
Wir fordern: Der 8. Mai, der Tag der Befreiung der Menschheit vom Hitlerfaschismus muss ein Feiertag werden – das ist überfällig seit sieben Jahrzehnten.
Mein ganzes Leben lang werde ich weiter dafür kämpfen, dass es keine Faschisten, keine Nazis mehr gibt. Nirgendwo. Das habe ich versprochen, immer wieder. Auch in Zeiten wie dieser, wenn öffentlich wieder »Hitlergrüße« gezeigt werden. Nein, ich gebe nicht auf, wir geben nicht auf: Gemeinsam mit den Vielen arbeiten wir gegen das Vergessen, gegen die, die Geschichte umschreiben oder überschreiben wollen. Hoffnung machen alle, die gegen rechts, gegen Rassismus und Antisemitismus auf die Straßen gehen und protestieren. Aber wir müssen noch lauter werden, unüberhörbar und überall deutlich sichtbar. Für eine freie Gesellschaft, für Solidarität statt Ausgrenzung!