Kommunist, Partisan und Querkopf
3. Februar 2020
Gustav Flohr, Mitbegründer der VVN in Remscheid
»Dann kam das Kommando an die Polizei: ‚Karabiner laden und sichern!’ Dann wieder zu uns: ‚Aufgesessen!’ Rauf auf die Wagen und dann formierte sich der Zug zum Abfahren.
Als wir über den Hof fuhren und wir die Kameraden an den Zellenfenstern hängen sahen, rief einer unserer Kameraden, ich nenne ihn Jupp, im lauten Ton: ‚Rot Front Kameraden!’ Dann folgte das Lied: ‚Ich hatt’ einen Kameraden’. Es war, als wäre eine Revolution ausgebrochen, mehr oder weniger dachten alle an die 12 Gerresheimer Kameraden, die hier in der Ulmer Höh’ ihrer Todesstunde entgegen gingen. Aus den Fenstern brüllte man ‚Rot Front, Rot Front, Rot Front!’ In den Zellen waren doch fast nur ehemalige RFB, Antifaschisten, Kampfbund-Kameraden und Parteigenossen. Dann war natürlich die Hölle los auf den Wagen. Die Polizisten zogen die Pistolen und brüllten: ‚Ruhe!’, zogen die Notizbücher und schrieben Namen auf. Dann forschten sie nach dem Mann, der angefangen hatte ‚Rot Front’ zu rufen. Jupp sagte ihnen aber: ‚Glaubt Ihr, ich wäre zu bange mich zu melden? Ich war es, der gerufen hat. Es war unser Abschiedsgruß und wer weiß, ob wir uns wiedersehen werden.’ Später im Lager, als man ihn gemeldet hatte und er die erste Vernehmung hinter sich hatte, erzählte er mir einmal, ich komme lebend nicht mehr davon, dass hätten sie ihm geschworen. Ein Jahr darauf haben sie den Jupp dann auch fertig gemacht.«
Mit diesen Worten schildert der kommunistische Politiker Gustav Flohr (1895-1965) den Abtransport 1933 aus einem Düsseldorfer Gefängnis ins KZ Börgermoor. Flohr war ein beredter Erzähler und ein packender Redner! Noch in den sechziger Jahren haben junge Remscheider Kommunisten im Kreis um ihn herum gesessen, um ihm atemlos zuzuhören.
1936 war er im Exil in Amsterdam zusammen mit seiner Frau und Tochter. Schon kurz nach ihrer Ankunft wurde seine Tochter von einem kommunistischen Parteigenossen vergewaltigt. Im Spanischen Bürgerkrieg von 1936 bis 1938 war Flohr nur kurz an der Front, wo er verwundet wurde. Den größten Teil seiner Zeit in diesem Krieg war er Zahlmeister des Sanitätswesens in Murcia. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich wurde er verhaftet und lebte viele Jahre in französischen Lagern. Nach geglückter Flucht aus einem dieser Lager wurde Flohr in Burgund Bataillonskommandant einer kommunistischen Résistance-Truppe von 800 Soldaten. Mit seinen Soldaten half er Ende Juli/Anfang August 1944 bei der Befreiung der Stadt Cluny. 1944/45 arbeitete Flohr für den US-amerikanischen Geheimdienst OSS (CIA-Vorläufer) und fuhr mit einem falschen deutschen Pass hinter die Front der deutschen Truppen im Reichsgebiet, um dort Brücken zu sprengen.
Im April 1945 kam Flohr in US-amerikanischer Uniform zurück in seine Heimatstadt Remscheid und beteiligte sich aktiv am Wiederaufbau der KPD. Von Januar bis November 1946 war er der von der englischen Besatzungsmacht eingesetzte Bürgermeister und kommissarische Oberbürgermeister, wurde aber in der ersten Kommunalwahl im Herbst 1946 nicht gewählt. Seine bemerkenswerteste Rede als Remscheider Oberbürgermeister hielt er bei einer Trauerkundgebung für die Opfer von Krieg und Faschismus im Oktober 1946. Rückblickend auf die Nazi-Zeit hatte das VVN-Mitglied Flohr ausgeführt:
»Unter der Freude des brutal aufsteigenden Faschismus verbarg sich unsere Qual, unsere Not, und viele verbluteten und gaben ihr Herzblut für die Freiheit in strenger Abgeschiedenheit hinter meterdicken Kerkermauern. Und ihr letzter Freiheitsschrei verhallte unter den draußen marschierenden SS-Stiefeln und den Klängen der Musikkapellen, der zum Krieg rüstenden Organisationen der NSDAP und des Militarismus.«
Querkopf, der Flohr zeit seines Lebens war, warfen ihn die englischen Besatzungsbehörden 1947 ins Gefängnis, da sie sich von ihm erpresst fühlten. Als sie ihn nämlich aufgefordert hatten, die von ihm besetzte Wohnung des früheren NSDAP Ortsgruppenleiters Alfred Kimmel zu räumen, hatte er eine Massendemonstration der Remscheider Arbeiter gegen die englische Besatzung angedroht.
1947 schmiss die örtliche KPD Flohr aus der Partei, und zwar aus drei Gründen: 1. Er habe in seiner zweiten Ehe eine reiche Frau geheiratet und damit Klassenverrat begangen. 2. Er habe Ulbricht öffentlich als Sesselfurzer beschimpft. Während er im Exil aktiv gekämpft habe, hätte Ulbricht bequem in einem Hotel in Moskau gewohnt. 3. Er sei Titoist. Der letzte Vorwurf hatte durchaus einen wahren Kern, schwärmte doch der Gewerkschafter Flohr von der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung und hatte sich Anfang der 50er Jahre auf vielen Autoreisen nach Jugoslawien dort mit alten Freunden aus dem Spanienkrieg wieder getroffen.
Kurz vor seinem Tod 1965 hatte er ein politisches Testament geschrieben. Dort hatte er klipp und klar geschrieben: »Ich war Marxist und werde es bleiben bis zu meinem Ende.«
Jörg Becker, geb. 1946, war Professor für Politikwissenschaft an der Universität in Marburg.