Nicht mehr gemeinnützig?
6. Februar 2020
Der politische Hintergrund der aktuellen Situation
Weltweit stehen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich für Menschenrechte, Umweltschutz und im weitesten Sinne fortschrittliche Ziele einsetzen, besonders in autoritär regierten Staaten unter vermehrtem Druck. Bürokratische Schikanen, die oft auf ihre Finanzierungsmöglichkeiten zielen, sind dort gängige Methoden, ihnen das Leben schwer zu machen. Im internationalen Maßstab genießt Deutschland hingegen bei NGOs bisher einen guten Ruf als ein Land, in dem besonders viele Verbände unter guten Bedingungen tätig sein können. Diese Zeit scheint zu Ende zu gehen. Auch in Deutschland macht z.B. das Erstarken globalisierungskritischer Netzwerke wie attac und campact, die rasch viel Publizität erzeugen und neue Themen in die Öffentlichkeit bringen können, den Staat »nervös«. Davon kaum zu trennen sind die gleichfalls allergischen Reaktionen der Parteien, die jahrzehntelang glaubten, das politische Geschäft gepachtet zu haben und mit deren Glaubwürdigkeitswerten es stetig bergab geht.
Vor diesem Hintergrund muss man den Entzug der Gemeinnützigkeit des Bundesverbandes der VVN-BdA als einer traditionell »nervenden« Organisation sehen. Zunächst ist wieder einmal deutlich geworden, dass der Status der »Gemeinnützigkeit« grundsätzlich rückwirkend, nicht »nach vorne hin« bestätigt wird. Da jedes Handeln sich aber notwendigerweise auf die Zukunft bezieht, verhalten sich z.B. fördernde Stiftungen oder selbst Ministerien so, als sei der de facto wie ein Gütesiegel wirkende »Bescheid« ein Ausweis für die Zukunft. Das Finanzamt kann wundersamer Weise diese Zukunft ändern, indem es die selbstlos tätigen Vereine nachträglich praktisch zu Firmen umdefiniert. Es kann ihnen nachträglich Gewerbesteuern, den höheren Mehrwertsteuersatz und die Haftung für steuersenkende Spenden aufbürden, um nur die schwerwiegendsten finanziellen Folgen zu nennen.
Die formale Begründung unterscheidet sich bei der VVN-BdA deutlich von denen anderer »Fälle«. Bei uns wird insbesondere nicht der in der Tat veraltete Zwecke-Katalog der Abgabenordnung herangezogen, sondern Paragraph 51, Absatz 3. Dieser, bereits 2009 eingeführt, sagt, dass wenn auch nur eine Gliederung eines Verbandes in einem einzigen VS-Bericht auftaucht, allen Gliederungen die Gemeinnützigkeit zu versagen ist. Damit nicht genug, führt er auch noch eine Beweislastumkehr ein, man muss wie zur Zeit der Hexenprozesse seine »Unschuld« vollständig nachweisen. Ein Urteil des Bundesgerichtshofes bezüglich eines islamischen Vereins führte zum Überfluss auch noch das Prinzip ein, dass eine einzige »böse« Tat nicht durch tausend »gute« Taten aufgehoben werden kann. Wenn man dazu bedenkt, dass VS-Behörden in ihren Berichten keine Tatsachenbehauptungen aufstellen, sondern auf ihren – praktischerweise geheimen – Erforschungen basierende »Wertungen« verbreiten, wird das ganze Ausmaß der Willkür deutlich.
Dass der Mechanismus erst 2019 zu voller Wirkung gelangt ist, liegt offenbar an der Änderung des Durchführungserlasses zur Abgabenordnung durch das Bundesfinanzministerium (BMF) am 31.01.2019. Er lieferte den Oberfinanzdirektionen die Arbeitsanweisung, die in Berlin und NRW, andernorts aber bislang sonst nicht, umgesetzt wurde. So schädlich die Erwähnung im VS-Bericht Bayern an sich bereits ist, führt sie selbst also nicht zwangsläufig zum Verlust der Gemeinnützigkeit, schon gar nicht außerhalb Bayerns.
Oft geht unter, dass nicht einmal der bayrische VS unseren Verband als »extremistisch«, sondern nur als »linksextremistisch beeinflusst« bewertet, ein Unterschied der, wenn die deutsche Sprache noch logischen Sinn haben soll, das Finanzamt für Körperschaften 1 in Berlin zur Besinnung hätte bringen müssen.
Eben dieses zuständige FA wirft der rechtlich selbständigen Bundesvereinigung im Übrigen mit keinem einzigen Wort irgendetwas vor, außer dass sie einen angeblich linksextremistischen Landesverband Bayern hat.
Womit man beim FA, in der Berliner Finanzbehörde und im BMF offenbar nicht gerechnet hat, ist das derart katastrophale öffentliche Echo auf ihr gemeinsames Handeln. Trotzig zeigt sich der VS Bayern, der nicht vorhat, irgendetwas an seiner Bewertung zu ändern. Widersprüchlich und unglaubwürdig verhält sich der Finanzsenator von Berlin. Der Bundesfinanzminister wiederum will nichts Böses vorgehabt haben, sondern er habe nur die anständigen Vereine »schützen« wollen.
Unser Ziel muss sein, bereits im laufenden Widerspruchsverfahren zum Erfolg zu kommen, da ein mögliches Klageverfahren vor dem Finanzgericht angesichts von Aufwand, Dauer und Kosten selbst schon wieder eine Art Strafe ist, die uns von dem abhielte was unsere tatsächlichen selbstlosen Ziele sind. Darüber hinaus engagieren wir uns in Zusammenarbeit mit unseren Partnern in der »Allianz Rechtssicherheit für politischen Willensbildung« im Rahmen der in den nächsten Monaten anstehenden Änderung des Gemeinnützigkeitsrechtes u.a. dafür Paragraph 52 (3) zu ändern, um dem VS einen Teil seiner Wirkungsmächtigkeit zu nehmen.
Zum Zeitpunkt der Niederschrift ist uns ein kleiner Teilerfolg gelungen. Die bereits angeordneten Steuernachzahlungen in fünfstelliger Höhe wurden vorerst ausgesetzt. Unser (erschöpfend umfangreicher schriftlicher) Widerspruch gegen den Bescheid werde noch geprüft, unserer »Bitte nach einem Gesprächstermin könne man aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt leider nicht nachkommen«.