Frauen im Widerstand
27. Juli 2020
Sammelband vereint 75 Biographien
Florence Hervé, verantwortliche Redakteurin des Taschenkalenders »Wir Frauen«, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der weiblichen Perspektive des antifaschistischen Kampfes. Seit den verdienstvollen Veröffentlichungen des Studienkreises Deutscher Widerstand in den 80er Jahren in der »Bibliothek des Widerstandes« wurde nun der bedeutende Beitrag von Frauen in den Blick der Widerstandsforschung genommen. Das betrifft alle Bereiche des antifaschistischen Kampfes, den bewaffneten Kampf, die Netzwerkarbeit, die politische Aufklärung und die individuelle Solidarität mit den Verfolgten und ihren Angehörigen im deutschsprachigen Raum Dass es so lange gedauert hat, ist eigentlich unverständlich. Das NS-Regime hatte mit der Errichtung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück und seinen Vorläufern in Moringen und Lichtenburg bereits deutlich gemacht, dass die Verfolgung und der Terror vor dem weiblichen Geschlecht nicht Halt machen.
Rechtzeitig zum 75. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg hat Florence Hervé eine biographische Dokumentation der weiblichen Perspektive des Widerstandskampfes in Europa herausgegeben. Vierundzwanzig Autorinnen berichten über 75 Widerstandskämpferinnen aus zwanzig Ländern, aus okkupierten Ländern, aus unbesetzten oder neutralen Staaten sowie aus Deutschland und Italien. Viele Texte entstanden extra für diesen Band, andere entstammen dem Kalender »Wir Frauen«. Ohne Anspruch auf Repräsentativität und Vollständigkeit sollten die Vielfalt des Widerstands dargestellt und bekannte wie unbekannte Frauen vorgestellt werden. Sie stehen stellvertretend für die vielen Namenlosen.
Bei aller Unterschiedlichkeit der Ausgangssituation in den jeweiligen Ländern und der individuellen Motivlage verband die Frauen der Wunsch nach Freiheit. Viele der Porträtierten haben im Widerstand traditionelle Geschlechterrollen durchbrochen, Ansätze von Frauenemanzipation erkämpft und gelebt. In den Biographien zeigt sich eine Kontinuität des widerständigen Engagements. Nach der Befreiung kämpften ehemalige Deportierte und Widerstandskämpferinnen gegen Rassismus, Kolonialismus und Krieg sowie gegen Frauendiskriminierung – auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.
Aus Deutschland werden neun Frauen vorgestellt. Zu ihnen gehört Marianne Baum, die als Jungkommunistin an der Brandstiftung gegen die Ausstellung »Das Sowjetparadies« 1942 beteiligt war und nur wenige Monate später in Plötzensee hingerichtet wurde. Auch auf Ilse Stöbe wird eingegangen. Sie gab die Planungen für den Überfall auf die Sowjetunion an den sowjetischen Militärgeheimdienst weiter und wurde dafür im Dezember 1942 hingerichtet. Berichtet wird über Doris Maase. Von der Gestapo als »halb-jüdische Marxistin« bezeichnet, überlebte Maase das KZ-Ravensbrück und war bis 1979 Sprecherin der Lagergemeinschaft Ravensbrück.
Die biographischen Skizzen der populären und weniger bekannten Widerstandskämpferinnen sind erfreulich empathisch und wenig heroisierend, selbst wenn sie in den jeweiligen Ländern wie Heldinnen verehrt werden. Das trifft zum Beispiel zu auf Lucie Aubrac in Frankreich, Hannie Schaft in den Niederlanden oder Soja Kosmodemjanskaja in Russland. Hervorzuheben ist auch, dass die Persönlichkeiten in ihren unterschiedlichen Facetten und den Handlungszwängen erkennbar werden. Dabei machen die jeweiligen Autorinnen deutlich, welche oftmals schwierigen persönlichen Entscheidungen die Frauen bei ihrem Weg in den Widerstand treffen mussten.
Florence Hervé (Hrsg.), Mit Lust und List, Europäische Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg, 294 S., PapyRossa, 17,90 Euro