Vernichtungskrieg im Osten

geschrieben von Jakob Knab

27. November 2020

Sammelband zu deutschen Verbrechen in Polen und der Sowjetunion

Neben dem Holocaust war der Ausrottungs- und Vernichtungskrieg der Wehrmacht das übelste Kapitel in der deutschen Geschichte. Die Frage, wie mit der NS-Vergangenheit umzugehen sei, war in der »alten« Bundesrepublik stets heftig umstritten. Schon bald nach Kriegsende wurde die Forderung laut, endlich einen »Schlussstrich« unter die politische und strafrechtliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zu ziehen. Jahrzehnte später gelangte Jürgen Habermas zu der Einsicht: »Je mehr die Bosheit zunimmt, um so stärker ist offenbar die Nötigung, das Verschuldete zu verdrängen.« Zu dieser wirkungsmächtigen Verdrängungsstrategie gehörte die Legende von der sauberen Wehrmacht. Mit der Eröffnung der Wehrmachtsausstellung wurde ab 1995 diese Legende zerstört, obwohl Veteranen der Wehrmacht dagegen aufmarschierten und der damalige Bundesminister der Verteidigung, Volker Rühe (CDU), den Soldaten der Bundeswehr jeden Kontakt mit der Ausstellung verbot. Dennoch kam es im Gefolge der Ausstellung zu einem Umdenken in der Traditionspflege. Anstößen aus der Zivilgesellschaft war es zu verdanken, dass Kasernen, die Kriegshelden der Wehrmacht (u.a. Dietl, Kübler, Mölders) öffentlich ehrten, widerwillig umbenannt wurden.

Es ist aufschlussreich, die historischen Erkenntnisse des vorliegenden Bandes zu vergleichen mit dem Mythengeraune eines Admirals Rolf Johannesson, dessen angeblich sinnstiftende Traditionswürde weiterhin verstockt und verbissen verteidigt wird. Der Angriff auf Polen war der Auftakt zum Vernichtungskrieg. Dazu schreibt -Johannesson: »Die Polenkrise begann. Am 25. August 1939 erhielten wir den Befehl für den Angriff auf Polen. Ein Zipfel des Mantels Gottes rauschte durch die Zeit.« Zum Angriff auf die Sowjetunion heißt es bei Johannesson, der sich damals in Frankreich befand: »Mit Blick über die Weinfelder trank ich nachdenklich eine Flasche Rotwein. Meine Gefühle waren zwiespältig. Warum wurden bei diesem Entschluß nicht alle Kräfte aufs äußerste angespannt?«

»Vernichtungskrieg im Osten. Judenmord, Kriegsgefangene und Hungerpolitik.« Erweiterte Neuauflage des Buches, das nach einer Tagung der IG Metall in Berlin 2011 entstand. Herausgegeben im September 2020 mit einem Vorwort von Frank Heidenreich und Lothar Wentzel, VSA-Verlag, 240 Seiten, 19,80 Euro

»Vernichtungskrieg im Osten. Judenmord, Kriegsgefangene und Hungerpolitik.« Erweiterte Neuauflage des Buches, das nach einer Tagung der IG Metall in Berlin 2011 entstand. Herausgegeben im September 2020 mit einem Vorwort von Frank Heidenreich und Lothar Wentzel, VSA-Verlag, 240 Seiten, 19,80 Euro

Im vorliegenden Band wird der Arzt und Autor Peter Bamm als Zeuge angeführt. Er berichtete, wie SS-Kommandos Leichen verstümmelten, um die Juden zu denunzieren und Pogrome gegen sie einzuleiten. »Der Kriegsgott entfesselt nicht nur die Dämonen«, so Peter Bamm nach dem Ende der NS-Gewaltherrschaft, »er macht auch die Engel mobil.« Sein Erlebnisbericht »Die unsichtbare Flagge« (1952) erlebte viele Auflagen. In dem Buch berichtete er von seinen Erlebnissen und Erfahrungen als Chirurg in der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Adolf Hitler bezeichnete er durchgängig als den »primitiven Mann an der Spitze«. Stets grenzte sich Bamm von den »Anderen« ab, die sich in Schuld verstrickt hatten. Nach der Eroberung Sewastopols auf der Krim im Frühjahr 1942 sammelten die »Anderen« die jüdischen Bewohner »Mauer an Mauer« mit der Sanitätskompanie Bamms und töteten sie in speziellen Fahrzeugen, in die während der Fahrt Abgase geleitet wurden – ein Verfahren, das sich während der Euthanasie-Aktion »bewährt« hatte. Er bekennt: »Wir wußten das. Wir taten nichts.« Seit 1986 ist nach ihm die Peter-Bamm-Kaserne (Munster) benannt.

Brisant sind diese Sätze auf Seite 140: »Am 25. Juni 1941 hatte die 11. Panzer-Division die westukrainische Stadt Dubno eingenommen. Zwei Drittel der 18.000 Einwohner waren Juden. An der Exekution in Dubno hatte auch ein hoher Stabsoffizier des übergeordneten LI. Armeekorps, Hauptmann Robert Bernardis, teilgenommen. Er hielt sich drei Tage beim 226. Infanterie-Regiment auf. Diese Gräueltäten waren eine geplante, exemplarische Hinrichtung von Juden.« Bereits nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wurde er in einem Lager bei Shitomir, etwa 200 Kilometer westlich von Kiew, Zeuge von Massenerschießungen und Kannibalismus. Auch bei der Einnahme von Charkow Ende Oktober 1941 sollte Bernardis miterleben, wie hunderte Einwohner, vornehmlich Juden, in den Straßen öffentlich gehängt wurden. Seine Erfahrungen führten bei ihm zur humanen Orientierung; er riskierte und opferte sein Leben im Widerstand. Seit Januar 2020 ist die Rossauer Kaserne in Wien, der Sitz des Bundesministeriums für Verteidigung, nach Oberstleutnant Robert Bernardis, »Österreichs Stauffenberg«, sowie nach Feldwebel Anton Schmid, der »Ikone des Rettungswiderstandes«, benannt.

Das Buch versammelt vier Beiträge zum Vernichtungskrieg der Wehrmacht im Osten beziehungsweise seiner Aufarbeitung in der Bundesrepublik. Es bietet mit vielen ausgewählten Dokumenten im Anhang eine gute Grundlage für Forschungsarbeiten.