Abschied vom Raketenpionier?

geschrieben von Die Fragen stellte Ernst Antoni

5. September 2013

antifa-Gespräch mit Harald Munding über Aktivitäten
gegen einen Nazi-Namenspatron

März-April 2013

Dr. Harald Munding ist Sprecher der VVN-BdA-Kreisvereinigung Augsburg.

antifa: »Gymnasium mit Nazi-Patron« überschrieb die Süddeutsche Zeitung einen Kommentar zu aktuellen Vorgängen rund um das Wernher-von-Braun-Gymnasium in Friedberg, einem Ort in der schwäbisch-bayerischen Region Augsburg. Es ist noch nicht so arg lang her, dass dieser Namenspatron in bundesdeutschen Medien ganz anders genannt wurde: »Raketen«- oder »Weltraumpionier« etwa, auch »Vater der Mondlandung«…

Harald Munding: Obwohl auch vorher schon vieles bekannt war über von Brauns Vergangenheit als SS-Sturmbannführer und führender Funktionsträger des NS-Regimes, der mit verantwortlich war für den Tod Zehntausender, die im Konzentrationslager Mittelbau/Dora als Zwangsarbeiter für die deutsche Rüstungsproduktion ihr Leben lassen mussten – obwohl nicht zuletzt die VVN-BdA seit Jahrzehnten solche Fakten öffentlich gemacht hat, dauerte es bis in die zweite Hälfte der 90er-Jahre, bis sich zumindest in der Medienöffentlichkeit die Bewertungen zu verschieben begannen. Vor allem seit der Veröffentlichung von Rainer Eisfelds Buch »Mondsüchtig. Wernher von Braun und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei« änderte sich hier etwas. Auf bestehende Schul- oder Straßennamen zur Ehre des Forschers hatte dies allerdings bis heute keine Auswirkungen.

antifa: Jetzt auf einmal, Anfang März 2013, steht in der Süddeutschen ein aktuelles Zitat des bayerischen Kultusministers Ludwig Spaenle, CSU, zu diesem Thema: »Aufgrund der historischen Erkenntnisse und meiner eigenen Bewertungen als Historiker halte ich die Benennung einer staatlichen Schule nach Wernher von Braun nicht hinnehmbar.« Klare Worte?

Harald Munding: So richtig glauben mag ich’s eigentlich erst, wenn schwarz auf weiß zu lesen ist, dass das Gymnasium in Friedberg tatsächlich umbenannt wurde. Wir von der VVN-BdA sähen es übrigens gerne mit dem Namen einer antifaschistischen Widerstandskämpferin oder eines Widerstandskämpfers aus der Region geschmückt. Aber ich befürchte, dass das noch dauern kann – derzeit heißt es ja, dass die Umbenennung erst nach den diesjährigen Wahlkämpfen, also im Jahr 2014, in Angriff genommen werden soll.

antifa: Was hat überhaupt letztlich den Anstoß gegeben für die angekündigten Veränderungen?

Harald Munding: Da haben viele Faktoren zusammengespielt. Ich will unsere eigenen VVN-Bemühungen nicht klein reden, aber so richtig Schwung in die Auseinandersetzungen kam im vergangenen Jahr, als der 100. Geburtstag des Raketenforschers anstand. Die Schule versuchte mit einem Symposium Auseinandersetzungen um den Namengeber zu »verwissenschaftlichen« – unter Einbeziehung von, nun ja, auch recht dubiosen Referenten. Zunehmend meldete sich eine kritische Öffentlichkeit zu Wort. Eine ganz wichtige Rolle spielte hier das lokale »Frauenforum Aichach-Friedberg«, das mit einem Internetauftritt und einer Veranstaltung Anstoß zu einer Ausstellung über den Namenspatron als Täter im KZ Dora-Mittelbau gab. Und es spielte auch eine Rolle, dass die derzeitigen Auseinandersetzungen über den »NSU-Terrorismus« in der Zivilgesellschaft aber auch bei nicht wenigen Kommunal- und Landespolitikern, vor allem bei SPD und Grünen, aber nicht nur dort, zu neuem Engagement führten. Bei den Verantwortlichen im Landkreis und bei der Schuldirektion merkt man davon allerdings bis heute nichts. Und auch nichts beim Bürgermeister der ebenfalls in unserer Region liegenden Stadt Gersthofen, der bisher keinen Grund sieht, in seiner Gemeinde endlich die Wernher-von-Braun-Straße abzuschaffen.

antifa: Auch der zuständige Minister hatte sich ja lange Zeit in den Schulnamen-Auseinandersetzungen bedeckt gehalten. Und nun doch diese deutlichen Sätze.

Harald Munding: Vor einigen Monaten schrieb Josef Pröll – mit seiner vor einigen Jahren verstorbenen Mutter, der bekannten antifaschistischen Widerstandskämpferin Anna Pröll, seit Jahrzehnten besonders aktiv in Auseinandersetzungen um Wernher-von-Braun-Würdigungen und Ehrungen – in einem Leserbrief an unsere regionale Monopolzeitung: »Er« (von Braun) »hat sich KZ-Häftlinge ausgesucht und wusste über das, teils unterirdische, KZ ‚Dora‘ genau Bescheid. Dort wurden nicht nur KZ-Häftlinge ‚ausgebeutet‘, wie Sie schreiben, es sind auch ca. 20 000 Menschen für diese V-Waffen-Produktion, allein in diesem Lager, ‚eines gewaltsamen Todes gestorben‘. Fritz Pröll aus Augsburg war einer von ihnen. 29 Jahre war er alt. Mitglied der internationalen, illegalen Widerstandsbewegung des KZ Dora. Kurz vor der Folter hat er sich das Leben nehmen können. Nur ein Häftling hat die Folter überlebt. Fritz Pröll war vorher zehn Jahre in Haft. Dass eine Schule nach Wernher von Braun benannt ist, empfinde ich als eine Schande. Eine Beleidigung aller Menschen. Der Toten wie der Überlebenden.« – »Gerade heute«, schreibt Josef Pröll weiter, wo wir »’Rechtsextremen keine Chance‘ geben möchten«, sei dies »ein weiterer Schlag in das Gesicht nicht nur aller ehemaligen Verfolgten des Naziregimes, sondern aller demokratischen Menschen.«. Schön, dass der bayerische Kultusminister dies jetzt auch so zu sehen scheint.