Arbeit für den Frieden

geschrieben von Franz von Hammerstein, Ehrenvorsitzender der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste

5. September 2013

Der Schwur von Buchenwald und die »Aktion
Sühnezeichen«

Mai-Juni 2007

Der Beitrag ist eine gekürzte Fassung der Rede, die Franz von Hammerstein am 15. April auf der Befreiungsfeier in Buchenwald gehalten hat

Als ich im November 1944 mit Mutter und Schwester aus Berliner Gefängnissen nach Buchenwald kam – ich war seit August 1944 im Gestapo-Gefängnis – wussten wir wenig von Buchenwald. Wir wurden als Sippenhäftlinge isoliert in einer Baracke eingesperrt – getrennt von den übrigen Häftlingen. Wir hatten kaum Kontakt. Wir waren keine Juden, keine Kommunisten, keine Zigeuner. Wir kamen aus Familien, die gegen die Nazis waren, die Hitler los werden wollten und vor allem den Krieg beenden wollten. Wir gehörten zur Sippe der Kriegsgegner, das war Rassenschande. Wir wurden besser behandelt als die übrigen Häftlinge. Wir wussten nicht, warum.

Gleichzeitig mit uns war Dietrich Bonhoeffer in Buchenwald. Wir wussten das nicht. Mit ihm zusammen in den Zellen waren eine Reihe deutsche, russische und englische Gefangene wie General von Rabenau, die am 9. April mit Bonhoeffer im KZ Flossenbürg ermordet wurden. Bonhoeffers in der Haft geschriebene Verse fanden wir erst später. Sie ermutigen uns bis heute. 1943 war er wegen Zersetzung der Wehrkraft verhaftet worden.

Kurz vor der Befreiung von Buchenwald durch eigene tapfere Männer und auch durch die Amerikaner wurden wir Sippenhäftlinge plötzlich nach Süden gebracht, Richtung Dachau, Richtung »Alpenfestung«. von wo aus, wie unsere Bewacher sagten, Europa zurückerobert werden sollte mit Hilfe von Raketen aus Buchenwald-Dora. Wir wurden aus Sippenhäftlingen zu Sonderhäftlingen, zu Geiseln, zu Verhandlungsobjekten. Falls die Rückeroberung Europas fehlschlug, könnten wir brauchbar werden in Verhandlungen mit Amerikanern, Engländern, Franzosen. Die Gruppe wurde erweitert mit gefangenen Politikern aus verschiedenen Ländern und immer besser behandelt, aber gleichzeitig mit der Todesstrafe bedroht. Dann wurden wir von deutschen Soldaten und schließlich von Amerikanern befreit.

Ich besuchte nach der Befreiung Frau Niemöller nahe Dachau, von wo aus sie ihren Mann, den Pastor Niemöller, einmal im Monat im KZ Dachau hatte sehen dürfen. Er war mit zur Alpenfestung transportiert worden, Sie verschaffte mir ein Fahrrad, damit ich in Norddeutschland meine Brüder suchen konnte, mir aber vor allem erst in Buchenwald Papiere besorgen konnte. In Buchenwald war unsere Gruppe von Sippenhäftlingen bekannt. Ich erfuhr erst da von den ganzen Schrecken Buchenwalds, von der Befreiung, von dem Schwur der Häftlinge, der mich gewaltig beeindruckte: »Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden, ihren Angehörigen schuldig. Zum Zeichen Eurer Bereitschaft für diesen Kampf erhebt die Hand zum Schwur und sprecht mir nach: Wir schwören.«

Ich fand meine Brüder in der Lüneburger Heide und in Berlin. Sie hatten mit Hilfe vieler Wunder und vieler Helfer versteckt überlebt. Ich wollte viel lernen über Juden und auch die Rassenfrage. Ich studierte in Deutschland und USA. Ich arbeitete viel zusammen mit Amerikanern, Franzosen und auch Schweizern, die in Deutschland Flüchtlinge betreuten. Ich heiratete eine Schweizer Flüchtlingshelferin.

Inspiriert durch den Schwur von Buchenwald wurden wir zu Mitbegründern der Aktion Sühnezeichen. Auch der Prophet Jesaja in der Bibel ruft uns zu: »Gehet ein, gehet ein durch die Tore, bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker!« (Jes. 62)

Die am stärksten Betroffenen wollten zuerst nicht mit uns zusammenarbeiten: Juden, Polen, Russen wollten von Deutschen nichts wissen. Aber wir bekamen Einladungen, in Coventry, England, zu arbeiten, das von den Nazis völlig zerstört worden war. In Lyon, Frankreich, bauten wir eine Synagoge, die dort überlebende Juden dringend brauchten, in Taizé, Burgund, bauten wir für die Bruderschaft von Frère Roger Schütz die Versöhnungskirche und halfen so, unter der Jugend Europas den Friedensgedanken und die Einsatzbereitschaft für Frieden zu verbreiten.

Einladungen kamen auch aus Holland und Norwegen, bei der Eingliedeung von den durch Nazis Verfolgten zu helfen. Wir fanden Freiwillige für diese Aufgaben. Heute sind das jährlich 190 Freiwillige, die in Europa, Russland, Israel und in USA überlebenden Nazi-Opfern helfen, ein ganzes Jahr oder im Sommer zwei bis vier Wochen etwa 200 Freiwillige, von denen viele sich auch anschließend für Frieden und Versöhnung einsetzen.

So wie damaIs im KZ die verschiedensten Menschen miteinander leben mussten, Zwangsarbeit leisteten, starben, so arbeiten heute Freiwillige aus vielen Ländern, suchen sich gute Aufgaben. Frieden und Freiheit, Vergebung und Versöhnung ist ihr Ziel.