Ausgegrenzt und verfolgt

geschrieben von Bodo Niendel

5. September 2013

Diskriminierung Homosexueller in beiden deutschen Staaten

Nov.-Dez. 2008

Der Verfasser ist Vorstandsmitglied der Initiative Queer Nations e.V.

Die Linksfraktion im Bundestag arbeitet zur Zeit an einem Gesetzesantrag zur Rehbilitierung und Entschädigung verfolgter Homosexueller, den sie noch in diesem Jahr einbringen will.

Nach dem Ende des deutschen Faschismus hofften viele Lesben und Schwule, dass nun die Diskriminierung und Verfolgung der gleichgeschlechtlichen Sexualität ein Ende haben würde. Insbesondere schwule Männer hatten unter dem Paragrafen 175 gelitten. 1871 ins Strafgesetzbuch des Deutschen Reichs aufgenommen, stellte er den gleichgeschlechtlichen männlichen Sex unter Strafe. Trotz Liberalisierungen war der §175 in der Weimarer Zeit nicht abgeschafft worden. Die Nazis verschärften ihn 1935. Bereits der Versuch, etwa ein amouröser Blick, konnte nun zu einer Strafverurteilung führen.

Zwischen 1933 und 1945 wurden über 50.000 Männer verurteilt, ca. 6.000 von ihnen kamen in Konzentrationslager, etwa 4.000 starben, etliche wurden zwangskastriert und gefoltert. Lesbische Liebe wurde zwar nicht direkt strafrechtlich verfolgt, dennoch war auch Lesben ein normales Leben verwehrt. Sie waren gezwungen sich zu maskieren. In Einzelfällen gab es auch hier Denunziationen mit anschließenden Verfolgungen.

In der Weimarer Zeit hatte es viele Tanzhäuser, Cafes, Kneipen sowie Beratungszentren für Lesben und Schwule gegeben. Nach dem Krieg wurden zunächst Versuche unternommen, diese Kultur wieder aufblühen zu lassen. Doch in den Westsektoren wurden Polizei und Strafverfolgungsbehörden schnell wieder aktiv.

Die Verfolgung schwuler Männer wurde fortgesetzt, ihre Orte der Begegnungen wurden weiter mit Razzien überzogen. Mit der Gründung der Bundesrepublik wurde auch der §175 (in der verschärften Nazifassung) übernommen. Zudem kam es zu Beginn der 1950er-Jahre zu einer Wiederbelebung restriktiver Geschlechternormen, in der die Homophobie eine bedeutende Rolle spielte. Christlichen Gruppierungen begannen, mit Moral- und Familienkampagnen Politik und Öffentlichkeit zu beeinflussen. Mit Erfolg. 1957 erklärte das Bundesverfassungsgericht: »Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz…Von Gewicht ist, dass die beiden großen Religionsgemeinschaften,…die gleichgeschlechtliche Unzucht als unsittlich beurteilen.« Damit galt der §175 als mit dem Grundgesetz vereinbar.

Allein in den ersten 15 Jahren der Bundesrepublik wurden über 100.000 Ermittlungsverfahren nach §175 eingeleitet. Mehr als 50.000 homosexuelle Männer wurden von 1950 bis 1969, dem Jahr der Entschärfung des §175, verurteilt. Lesben waren ebenfalls von der Repression betroffen, sie konnten ihre Liebe nicht leben. In der Zeit des »Frauenüberschusses« hatten nicht wenige Frauen Beziehungen zu anderen Frauen aufgenommen. Doch die Restauration, drängte viele – zumindest zum Schein – in die Heterosexualität. Einige heirateten einen Mann, andere blieben allein.

Auch die DDR tat sich schwer mit der Homosexualität. Sie kehrte 1950 mit einem Urteil des Kammergerichts Berlin zumindest zur Weimarer Fassung des §175 zurück. In der DDR wurde innerparteilich durchaus über den §175 diskutiert. Doch auch viele Antifaschisten verwehrten sich der Anerkennung des Unrechts. So findet sich in einem Dokument der VVN von 1949 die Aussage: »Die Homosexuellen in unsere Organisation aufzunehmen, als Einzelmitglieder oder als Gruppe, wird von uns strikt abgelehnt…Lediglich der Grund der Verfolgung seitens des Naziregime gegenüber einem Homosexuellen ist für uns kein Aufnahmegrund.«

Doch die Zeiten änderten sich. In der DDR wurden 1968 mit der Einführung des §151 im neuen Strafgesetzbuch einvernehmliche Handlungen zwischen Erwachsenen legalisiert.

Allerdings blieben Lesben und Schwule weiterhin gesellschaftlich diskriminiert. So war es nahezu unmöglich, als gleichgeschlechtliches Paar eine gemeinsame Wohnung zu finden. Auch die Selbstorganisation war Schwulen und Lesben untersagt, da sie keine Vereine gründen durften. Die DDR bildete in ihren frühen Jahren das sexualpolitische Pendant zur Bundesrepublik, allerdings unter areligiösem Mantel. Auch hier bestand das normative Leitbild in einer erfüllten heterosexuellen und monogamen Partnerschaft.

Die DDR wandelte sich, die Gleichberechtigung der Frauen wurde zur Normalität, doch die Homosexualität blieb weiter tabuisiert. Eine öffentliche Diskussion über Homosexualität, die das Tabu hätte brechen können, gab es nicht. Bedauerlicherweise kam die Premiere des ersten Films zu dem Thema, Heiner Carows »Coming out«, zu spät. Sie fand am 9. November 1989 statt.

In beiden deutschen Staaten galt nach §175 bzw. nach §151 weiterhin ein höheres Schutzalter für gleichgeschlechtlichen Sex. Die DDR beendet dieses Unrecht 1989, die Bundesrepublik erst 1994. Doch die 1950er- und 1960er-Jahre waren in beiden deutschen Staaten für Lesben und Schwule eine Zeit der Einsamkeit und Maskierung, aber auch der Verfolgung und Inhaftierung. Bis heute sind Lesben und Schwule noch nicht rechtlich gleichgestellt. Viele Menschen müssen ihrer sexuellen Orientierung wegen mit gebrochenen Biographien leben. Sie sollten rehabilitiert und entschädigt werden.