Bei „Mohr“ zu Hause

geschrieben von Dr. Seltsam

5. September 2013

Besuch im Marxmuseum der Friedrich-Ebert-Stiftung

Mai-Juni 2007

Am 5. Mai wurde Karl Marx 189 Jahre alt

Karl-Marx-Haus, Brückenstr.10, 54292 Trier, Tel: 0651/ 970680

Marx‘ Geburtshaus in der Brückenstraße 10 liegt heute inmitten einer Einkaufszone und wird von den Einheimischen kaum beachtet. Dennoch ist es jährlich etwa 40.000 Besuchern aus aller Welt wichtiger als der riesige Dom und die antiken Bauwerke aus jener Zeit Kaiser Konstantins, in der Trier Hauptstadt des Römischen Imperiums war. Die Leiterin des Marxmuseums der Friedrich-Ebert-Stiftung, Frau Professor Bouvier aus Bonn, wundert sich über die Verehrung, die der Revolutionär noch immer genießt. »Wir sind ja hier nur politisch-historische Dienstleister. Die Delegationen der KP Chinas melden sich vorher an und brauchen dann immer ein Bestätigungsschreiben, dass sie hier waren«, erläutert sie etwas despektierlich.

12.000 Chinesen besuchen jedes Jahr das Marxhaus, 50 bis 100 pro Tag! Es gibt einen elektronischen Museumsführer auf Mandarin, die Uni Trier legte ein Forschungsprojekt über die chinesischen Gästebucheinträge auf. »Die Chinesen wollen immer wissen, wie sich Marx mit ihren Wirtschaftsreformen vereinbaren lässt«, berichtet Frau Bouvier. »Sie haben Angst, dass ihnen die sozialen Konflikte um die Ohren fliegen, im Grunde müssen sie sich auf einen Sozialstaat nach deutschem Muster einlassen und dabei helfen ihnen die Diskussionen mit uns. Als ich selbst zu einem Kongress in China war, wurde ich am Flugplatz begrüßt: Sind Sie das Karl-Marx-Haus? Ich bekam Fahrer, Auto etc. Ich hatte den Rang eines Vizeministers! Die Chinesen sind ja ungeheuer statusbewusst und traditionell. Sie wollen immer genau wissen, wo Marx quasi rausgeschlüpft ist. Was soll ich machen? Da haben wir in einer Ecke eine schlichte Büste aufgestellt, das ist nun für die chinesischen Gruppen der ›Geburtsalkoven‹, wo sie ihre Blumen ablegen und sich fotografieren können.«

Die SPD kaufte das Marxhaus 1928 der ärmeren KPD vor der Nase weg und ließ es von Gustav Kasel umbauen, der später Stadtarchitekt von Jerusalem wurde. »Was Sie heute sehen, ist die Barockvorstellung eines Bauhaus-Meisters. Holzproben ergaben als Baujahr 1727, aber keiner weiß, wie das Haus original aussah. Wir hatten nur einen leeren Raum, alles ist konstruiert!« Damit ist der modische Kernbegriff von Prof. Bouvier gefallen: »Die neue MEGA-Forschung will Marx dekonstruieren; denn ›Das Kapital‹ hat er nicht selbst fertig geschrieben. Was Engels und Kautsky daraus geformt haben, ein festes System, war damals für den Aufbau der Arbeiterbewegung notwendig; aber Marx hat immer neu angefangen. Er war offen und mithin viel moderner als das Marx-Bild der Sozialisten.« Frau Professor Bouvier sieht sich mit dieser Interpretation auf dem linken Flügel: »Im Parteihaus in Berlin Kreuzberg fängt die Geschichte der SPD mit Lasalle an. Denen hab ich erklärt, dass die Partei das anders sieht als die redliche Geschichtswissenschaft. Für die alte SPD war Marx immer eine der Wurzeln, aber gegen Ulbricht ist nur Lasalle übrig geblieben.« Prof. Bouvier nimmt bei ihrem Privatissimum wirklich kein Blatt vor den Mund: »Bei Führungen landet die Diskussion immer wieder bei der Frage, ob Marx den Leninismus erfunden hat. Stringente Antworten wollen und können wir nicht geben, aber unsere Informationen sind natürlich selektiv.« Absichtlich habe sie für die Illustrierung der antikommunistischen Aufstände von Ungarn bis China die bekannten Klischeebilder aufgehängt. Es ist pauschal vom »Unrechtsstaat DDR« die Rede, wenn auch in Anführung. Sind wir noch im Karl-Marx-Haus?

Marx wurde hier zwar geboren, aber schon nach wenigen Wochen zog die Familie in die Simeon-straße 8, direkt bei der Porta Nigra. Hier lebte er bis zum Studium in Bonn und Berlin. Das Haus gibt es noch und es steht demnächst zum Verkauf. Wäre es nicht eine verbindende Aufgabe für die neue Linke, hier eine Gedenkstätte zu schaffen, die den dekonstruierten Marx wieder revolutionär rekonstruiert, im eigentlichen Karl-Marx-Haus?

»Beim Umbau fanden wir Geheimgänge unter dem Karl-Marx-Haus«, verrät uns Frau Prof. Bouvier zum Abschied. »Wir wissen nicht, wo sie enden…«