Blick über den Tellerrand

geschrieben von Bernd Kant

5. September 2013

Überregionales antifaschistisches »Familientreffen« in
Kassel

Nov.-Dez. 2010

Jeder kennt Familientreffen. Man trifft – zumeist nach längerer Zeit – wieder einmal alle Geschwister und deren Familien, Onkel, Tanten und weitläufigere Verwandtschaft. Und dabei gibt es einige, die man gerne sieht, andere, die man ertragen kann, und dritte, die man eigentlich nicht treffen möchte, die aber als Teil der Familie ebenfalls eingeladen sind. Um des lieben Friedens willen bemüht sich aber jeder, alte Konflikte nicht hochkommen zu lassen. Nicht anders geht es zu, wenn sich all jene treffen, die sich zur antifaschistischen Familie zählen.

Anfang Oktober traf man sich in Kassel – passend zum »Tag der deutschen Einheit«, um über aktuelle Handlungsschwerpunkte, Möglichkeiten besserer Vernetzung und gemeinsames Handeln im Rahmen von öffentlich alimentierten Programmen gegen Rechtsextremismus nachzudenken. Gut 100 Teilnehmende aus Ost und West, von etablierten antifaschistischen Strukturen, die sich um Zeitschriften wie »Der Rechte Rand«, »Lotta«, das »Antifaschistische Infoblatt« und das apabiz gruppieren, aus regionalen öffentlich geförderten Netzwerken und von autonomen Antifa-Initiativen, aus gewerkschaftlichen Antifa-Antira-Netzwerken und von Menschen, die sich seit vielen Jahren mit Recherche zu neofaschistischen Strukturen und antifaschistischer Aufklärungsarbeit beschäftigen. Auch Teilnehmende aus dem europäischen Ausland von Searchlight und United, aus Schweden und Frankreich waren auf der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung maßgeblich initiierten Tagung vertreten.

Die Titulierung der Tagung als »Familientreffen« hatte durchaus seine Berechtigung. Wie im richtigen Leben gab es auf diesem Treffen zwar unterschiedliche Positionen, aber keine offen ausgetragenen Konflikte. Dabei lagen die Positionen der Beteiligten zum Teil sehr weit auseinander, wie in den zahlreichen Workshops sichtbar wurde. Die Teilnehmenden beschäftigten sich in über fünfzehn thematischen Workshops – die meisten davon parallel – mit Fragestellungen, die verschiedenste Aspekte antifaschistischer Arbeit abdeckten. Es ging um antifaschistische Kommunalarbeit, um gewerkschaftliche Zugänge zu antifaschistischer Arbeit, um die Auseinandersetzung mit autonomen Nationalisten oder die soziale Demagogie der Neonazis.

Der Faschismus-Begriff und die Auseinandersetzung um den Extremismusdiskurs standen ebenso auf der Tagesordnung wie die ideologischen Implikationen von »Zivilgesellschaft« und »bürgerschaftlichem Engagement«. Natürlich konnten auch auf dieser Tagung die Themen »Islamophobie« und Nahost-Diskurs nicht fehlen, sind das doch Fragen, die die antifaschistische Kooperation an vielen Orten auseinanderbringen.

In zwei Arbeitsforen wurde auch einmal der Blick über den deutschen Tellerrand gewagt, wobei die Frage diskutiert wurde, ob die antifaschistische Bewegung »interventionistisch« agieren solle oder wie weit es gelinge, die unterschiedlichen Handlungsbedingungen und nationalen Strukturen angemessen zu verstehen.

Am Ende der Tagung stand – wie bei jedem Familientreffen – das Versprechen, dass man sich zukünftig häufiger treffen wolle und müsse. Wie viel davon umsetzbar ist, wird man abwarten müssen. Klar ist aber, dass dieses Treffen dazu beigetragen hat, dass sich die verschiedenen Akteure der antifaschistischen Bewegung in unserem Land besser kennen gelernt haben. Insbesondere der informelle Austausch am Rande der Foren und an den Abenden hat dazu beigetragen, die Vernetzung voranzutreiben. Das wird bei der Mobilisierung für Dresden oder andere antifaschistische Aktionen durchaus hilfreich sein.