Den Krieg ächten!

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Gedanken zur Geschichtspolitik in einem Jahr der Gedenktage

März-April 2009

Die Erinnerung an den 1. September 1939, an dem vor 60 Jahren mit dem Überfall auf Polen durch die deutsche Wehrmacht der Zweite Weltkrieg ausgelöst wurde, wird wohl in diesem Jahr nur im Schatten der Feier des Falls der Berliner Mauer von 1989 stehen. »Flucht und Vertreibung, Mauertote, sozialistisches Unrechtesregime und die Erfahrung von Unfreiheit« sind vermutlich die Paradigmen, nach denen medial Sozialismus geächtet wird.

Die Debatte war heiß: Gebührt Erika Steinbach als langjähriger Vorsitzenden des »Bundes der Vertriebenen e.V.« ein Platz in dem Stiftungsrat, der ausgerechnet im Deutschen Historischen Museum das Thema »Flucht und Vertreibung der Zivilbevölkerung am Ende des zweiten Weltkrieges aus den an Polen abgetretenen Ostgebieten Deutschlands« zukünftig zu verantworten hat?

Die Frage war, ob damit nicht die gerade erst wieder stabilisierten politischen Beziehungen zu Polen aufs Neue belastet werden und was zur Zeit ebenso schwerwiegend ist – löst dieser neuerliche Konflikt nicht auch noch zusätzliche Spannungen in der ohnehin gebeutelten Regierungskoalition aus? Aber die Querele war schnell aus der medialen Endlosschleife heraus: Frau Steinbach erfüllte den Wunsch ihrer Partei und verzichtete wegen Androhung des Koalitionsbruches der SPD auf Sitz und Stimme in jener unselbständigen Stiftung, die über Dokumente und Dauerausstellungen der Vertreibungsgeschichte an prominentem Ort so wachen soll, dass laut Bundestagsbeschluss diese öffentliche Erinnerungsarbeit zu Ächtung von Flucht und Vertreibung führen soll. Hat da Einsicht oder gar Vernunft gesiegt?

Besagter Bundestagsbeschluss hätte eigentlich eine heftige öffentliche Kontroverse auslösen müssen. Wissen wir doch seit Jahren, dass zum Beispiel durch globale Wirtschaftspraktiken Hunderttausende aus ihren angestammten Gebieten vertrieben werden und UNO-Statistiken belegen, dass die Flüchtlingszahlen wegen Hungers drastisch steigen. Tatsächlich könnte Flucht und Vertreibung aus diesem Grund umgehend geächtet werden, weil rund um den Erdball Fachwissenschaftler und engagierte Bürger seit Jahren konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Hunger und Verelendung vorlegen. Doch selbst die EU ist nicht bereit, Hunger als Ursache für Flüchtlingsströme anzuerkennen. Und wer wäre überhaupt bereit, Ausbeutung zu »ächten«?

Frau Steinbach ist in der konservativen Sicht von Zusammenhängen so stabil etabliert, dass sie gut und gerne auf Sitz und Stimme im Museumskontext verzichten kann. Und über das vom Verband der Vertriebenen in Deutschland geplante Haus »Zur Erinnerung an Flucht und Vertreibung«, das inzwischen allein aus den geflossenen Spenden finanziert werden kann, hat weder die deutsche noch die polnische Öffentlichkeit zu entscheiden. Seit Jahren ist Frau Steinbach als Berufsvertriebene die Hausmutter all dieser Pläne.

Leider gibt es zu viele Menschen in diesem Land, die sich bis heute nicht die Mühe gemacht haben, die Magna Charta des deutschen Ostfeldzuges, den Generalplan Ost, und die Ariergesetzgebung zu lesen. Sie werden auch weiterhin den seit dem 1.September 1939 von Deutschland angegriffenen und ausgeplünderten Völkern im Osten anlasten, dass deutsche Zivilisten 1945 die Tragödien der Flucht erleben mussten, die laut »Generalplan Ost« nur den offiziell als Untermenschen eingestuften Slawen bereits sieben Jahre lang zugemutet worden waren.

Doch weil der Vater von Frau Steinbach als Besatzungsoffizier zu den Akteuren des Generalplans Ost gehörte, sollte man doch gerade von ihr die sensible Solidarität erwarten, das deutsche Flüchtlingsschicksal als allerletzte Folge des »Totalen Krieges« in Zusammenhang mit dem zu stellen, was der deutsche Vernichtungskrieg im Osten der Zivilbevölkerung angetan hat.

Mein Vorschlag: Auch die Wehrmachtsausstellung von Reemtsma bekommt angemessene Räume im Deutschen Historischen Museum zwecks Ächtung des Krieges – und als Anhang werden die Dokumente von Flucht und Vertreibung der deutschen Zivilbevölkerung gezeigt.