Der Ort des Terrors

geschrieben von Peter Fisch

5. September 2013

Band 8 der »Geschichte der NS Konzentrationslager« ist
erschienen

Nov.-Dez. 2009

Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager

Band 8: Riga. Warschau. Kaunas. Vaivara. Plaszów. Klooga. Chelmo. Belzec. Treblinka. Sobibor

Herausgegeben von Wolfgang Benz und Barbara Distel.

Verlag C.H.Beck München

Preis 59,90 Euro

Mit der verdienstvollen »Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager« haben die beiden Herausgeber Wolfgang Benz und Barbara Distel in nunmehr acht Bänden erstmals alle Konzentrationslager vorgestellt und deren Platz im faschistischen deutschen Staatssystem umfassend bestimmt. Band 8 stellt Gründung, Baugeschichte, Strukturen, Personalstruktur, Häftlingsstrukturen, Lageralltag, Arbeitseinsatz, Vernichtung, Widerstand und Evakuierung der Konzentrationslager Riga-Kaiserwald, Warschau, Vaivara, Kauen (Kaunas) und Plaszow samt der insgesamt 61 Nebenlager dar. Diese Lager wurden in der Endphase des Krieges, 1943/44, errichtet.

Wie die Herausgeber betonen, war die Quellenlage hier besonders schwierig. Daran anschließend beschreibt der Band »Lager« (die Bezeichnung allein ist zynisch), deren alleinige, einzige Funktion nicht darin bestand, Menschen gefangen zu halten, sondern zu töten: Kulmhof (Chelmno), Belzec, Sobibor und Treblinka. Die oben genannten Konzentrationslager unterschieden sich zumeist in ihren Strukturen vom üblichen Typus der KZ, z.T. auch im Unterstellungsverhältnis.

Das erste Lager, das ausschließlich dem Zweck der Massenvernichtung diente, entstand im Herbst 1941 nordwestlich von Lodz im Dorf Chelmno. Hier erfolgte vom November 1941 bis März 1943 sowie im Juni und Juli 1944, als das Vernichtungslager reaktiviert wurde, die Ermordung von mehr als 150000 Menschen, zumeist Juden und Roma, in Gaswagen (umfunktionierte Lkw). Die anderen drei Vernichtungslager, formal (wie Chelmno) nicht der Inspektion der KZ unterstehend, wurden im Zusammenhang mit der »Aktion Reinhardt« errichtet, um die Ghettos im »Generalgouvernement« zu »räumen«, d.h. ihre jüdischen Bewohner zu ermorden. Mit der Durchführung der Mordaktion hatte der Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, den SS-und Polizeiführer des Distrikts Lublin, Odilo Globocnik, beauftragt.

Die Vernichtungslager existierten nur kurze Zeit: Belczec von März 1942 bis März 1943, Sobibor von März/April 1942 bis Ende 1943 und Treblinka von Mai/Juni 1942 bis November 1943. Etwa 100 Mordspezialisten der Euthanasieaktion »T 4« planten und betrieben die Massentötung in den drei genannten Vernichtungslagern. Insgesamt fielen der »Aktion Reinhardt« 1,75 Millionen Menschen, meist Juden polnischer Nationalität, zum Opfer. Sie wurden gezwungen, sich sofort nach Ankunft zu entkleiden, dann in die Gaskammern getrieben und durch Kohlenmonoxyd ermordet.

Alle diese Vernichtungsstätten wurden noch 1943 aufgelöst und die Spuren beseitigt. Zur Erläuterung sei angefügt, dass die Darlegungen zu den KZ Auschwitz und Maydanek in den Bänden 5 bzw. 7 erfolgen. Beide Lager unterstanden der Inspektion der KZ und erfüllten neben der Funktion von Vernichtungsstätten auch andere (z.B. produktive für die Rüstung).

Das Vernichtungslager Treblinka, nur ein reichliches Jahr existierend, war die größte und »effektivste« Mordstätte. Hier wurde 900000 Juden und einige Tausend Sinti und Roma ermordet. Als Mörder fungierten nur etwa 25 bis 35 Deutsche und Österreicher der »Aktion T 4«, und 100 bis 120 »Trawniki«, meist Ukrainer. Wolfgang Benz nennt das den »effizientesten Mordapparat, den es je gegeben« hat.

Der Band 9, der das Gesamtwerk abschließen soll, wird, so angekündigt, die anderen Formen des erzwungenen Aufenthalts, der Repressionen und Mordpraxis in Überblicksform thematisieren, z.B. Ghettos, Durchgangslager, Polizeihaftlager, Zigeunerlager u.a. Damit liegt dann ein umfangreiches Kompendium des faschistischen Lagersystems vor, eine Bestandsaufnahme der Informationen über die 24 Hauptlager und rund 1000 Nebenlager, was jedoch keineswegs bedeutet, dass es keine Forschungsdefizite mehr gäbe.

Bereits die nunmehr acht vorliegenden Bände sind ein unverzichtbares Nachschlagewert für Historiker, Studierende, Schüler, Institute und Gedenkstätten. Die Darstellung ist übersichtlich gestaltet und folgt dem chronologischen Prinzip der Entstehung der Lager. Wer Band 8 ohne Kenntnis des Gesamtwerkes zur Hand nimmt, kommt allerdings nicht umhin, zumindest zum einführenden Band 1 mit dem Titel »Die Organisation des Terrors« zu greifen. Er stellt die wissenschaftliche Grundlage der Edition vor. In 23 Beiträgen werden die bestimmenden Aspekte des faschistischen Lagersystems, das sich über ganz Europa, von den britischen Kanalinseln bis in die Sowjetunion, vom Baltikum bis nach Griechenland erstreckte, von Fachspezialisten dargestellt. Selbst derjenige, der über nicht geringe Kenntnisse des NS-Systems verfügt, wird nach dem Studium der Bände beträchtlichen Wissenszuwachs erfahren haben, aber auch immer erneut Entsetzen über die faschistischen Verbrechen empfunden haben.

Eine differenzierte Besprechung der Einzelbände und eine diesbezügliche Diskussion in der »antifa« erscheint mir durchaus notwendig.

Der Ort des Terrors
Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager

Herausgegeben von Wolfgang Benz und Barbara Distel
Verlag C.H.Beck München
Preis jeweils 59,90 Euro