Die Akten auf den Tisch

5. September 2013

Jerzy Montag (Grüne) in der aktuellen Stunde des Bundestages am 19.
Januar 2011

März-April 2011

Organe, Ämter und Beamte dieses Staates, unseres Staates – es ist lange her, aber es bleibt dabei: So war es, haben nach dem Krieg nationalsozialistischen Mördern zur Flucht verholfen. Sie haben ihre Aufenthaltsorte verschwiegen und verhindert, dass sie der Justiz überantwortet werden konnten. Das ist ein Zustand, der zum Teil bekannt ist, zum Teil aber auch noch nicht bekannt ist. Die Debatte in diesem Hause darüber, wie wir uns auch nach Jahrzehnten mit diesem Phänomen beschäftigen – das will ich an den Anfang stellen -, ist, Herr Kollege Grund, jedenfalls für mich niemals eine unnötige Debatte.

Trotz aller Berechtigung der Vorwürfe gegen-über der Linken, dass sie in dieser Sache »Leichen im eigenen Keller« liegen hat – bezüglich ihrer Verantwortung für den Staatssicherheitsdienst der DDR zum Beispiel -, würde ich diese Themen gerne trennen und nicht in einem Atemzug nennen und die Debatte über den Nationalsozialismus und seine Fortwirkung bis heute nicht zusammen mit der über die fehlende Aufarbeitung des Unrechts in der DDR führen wollen. Auch durch den Hinweis darauf, dass das heute Vormittag in einer nichtöffentlichen Innenausschusssitzung vielleicht schon besprochen worden ist, werden wir nicht davon entbunden, über dieses Thema hier im Plenum zu diskutieren, wenn es aus diesem Hause den Wunsch danach gibt.

Die Situation ist so – jedenfalls aus meiner Sicht -, dass sich die Historiker auch in den letzten Jahren und auch auf der Seite der FDP darum bemüht haben, aufzudecken, was man eigentlich schon vor Jahrzehnten hätte offenlegen müssen. Mich schmerzt, ärgert und wundert, dass es offensichtlich das Faktum gibt – das ist herausgekommen -, dass in den Akten des Bundesnachrichtendienstes aus dem Jahre 1952 steht, dass dem Bundesnachrichtendienst bekannt war, wo sich der Massenmörder Eichmann aufgehalten hat und unter welchem Decknamen er wo gelebt hat. Davon haben wir nichts gewusst.

Ich würde mir wünschen, dass der Bundesnachrichtendienst- ich mache wirklich kein BND-Bashing – von sich aus ein Symposium organisiert und von sich aus offenlegt, dass er Informationen über den Fall Eichmann in seinem Keller hat. Solange so etwas nicht geschieht, habe ich die Befürchtung, dass nicht nur in den Aktenbeständen des BND, sondern auch in denen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und vielleicht auch in den alten Akten des Bundeskriminalamtes noch mehr solcher Informationen zu finden sind.

Solange wir die Vergangenheit und unsere Verantwortung aus der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland nicht lückenlos aufarbeiten, wird uns die Geschichte des Nationalsozialismus immer wieder einholen. Deswegen ist es mein Wunsch bzw. meine Forderung an die Bundesregierung, wirklich in einer radikalen Art und Weise zu sagen: Wir drehen jetzt die Richtung um.

Die Ämter sind nicht in erster Linie daran interessiert, ihre alten Aktenbestände, ihre Historie aus 60 Jahren abzudecken und zu kuvrieren, sondern wir werden diese Unterlagen, soweit es unter der notwendigen Beachtung der Persönlichkeitsrechte und auch der heute aktuell noch vorhandenen Probleme mit benachbarten Staaten und befreundeten Diensten geht, selbst auf den Tisch legen. Wenn wir drei- oder viermal erleben, dass uns die Exekutive mit neuem Material versorgt, statt dass wir immer nur von investigativen Journalisten aus der Presse oder durch Zufall etwas erfahren, dann ändert sich etwas.

Das ist mein Wunsch. Das wäre ein Gewinn aus dieser Debatte.