Die Werte bewahren

geschrieben von Jonny Granzow

5. September 2013

Informationen vom Kongress der A.N.A.C.R. in Agen

März-April 2011

Der Nationale Kongress der französischen Widerstandskämpferorganisation A.N.A.C.R. fand vom 22. bis 24. Oktober vergangenen Jahres in der Stadt Agen statt. Der Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung »Freies Deutschland« (DRAFD) war zu dem Kongress eingeladen und wurde dort durch den Kameraden Jonny Granzow vertreten. Wir entnehmen diese Auszüge aus seinem Bericht der »Information DRAFD«.

»Sich erinnern und wachsam sein, um das Vergangene nicht erneut zu erleben« (Se souvenir et être vigilant pour ne pas revivre le passé): So lautete die Überschrift des Berichts des Nationalbüros an den Kongress.

Sein erster Teil bestand aus einer sehr fundierten Analyse der internationalen und innenpolitischen Entwicklung seit dem Ersten Weltkrieg, mit Schwerpunkt Faschismus.

Der zweite Teil betraf den Zweiten Weltkrieg, den Widerstand und die Befreiung. Er ging auch auf die damaligen Erwartungen an die Nachkriegszeit, auf einige innenpolitische Erfolge im Sinne der Résistance und auf die enttäuschten Hoffnungen, national wie international, ein.

Dieser detaillierte historische Rückblick galt wohl vor allem der Information und Orientierung der jüngeren Mitglieder und der zu gewinnenden Sympathisanten.

Macht es Sinn, sich heute noch auf das Programm des Nationalrats des Widerstandes aus dem Frühjahr 1944 zu berufen? Das Nationale Büro sagt in dem Schlussteil seines Berichts: Ja, weil die Grundwerte, die diesem Programm innewohnen, zutiefst aktuell seien: Freiheit, Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Solidarität, Toleranz, Gemeinwohl vor Einzelwohl, nationale Unabhängigkeit, Verteidigung des Friedens.

Die gegenwärtige Lage in Frankreich, und nicht nur dort, wird an diesen Werten gemessen, woraus sich praktische Forderungen der A.N.A.C.R. ergeben. Vor allem geht es ihr um das Ziehen einer unüberwindlichen politischen Grenze zwischen allen demokratischen Meinungen und Kräften und jenen Tendenzen und Kräften, die sich aus faschistischen und petainistischen Quellen nähren.

Diese Grenze, betont der Bericht, war stets eindeutig im Kampf, den Französinnen und Franzosen Seite an Seite mit Immigranten und Angehörigen der Kolonialvölker führten, unter ihnen die spanischen Guerilleros im Südwesten Frankreichs, deutsche Antifaschisten in den Cevennen, die Helden der MOI – also des nach nationaler Herkunft breit gefächerten Immigrantenwiderstandes – und vielen anderen. Für die Wahrung dieser roten Linie, schließt der Bericht, ist die A.N.A.C.R. wegen ihrer Erinnerungsarbeit und Wachsamkeit unersetzlich.

Der Kongress mündete in der Annahme mehrerer Dokumente, in denen nach der Analyse der gegenwärtigen Situation in Frankreich konkrete Forderungen aufgestellt wurden. Auf zwei dieser Dokumente sei hier eingegangen.

In der ersten Entschließung, mit der sinngemäßen Überschrift »Erinnerung vermitteln und Bewusstsein wecken«, geht es vor allem um die Einführung eines nationalen Gedenktages für die Résistance, der am 27.Mai begangen werden sollte: An jenem Tag, im Jahre 1943, waren die unterschiedlichen Organisationen des Widerstands in einem Nationalrat der Résistance zusammengeführt worden. Mit einem solchen offiziellen Gedenktag soll verhindert werden, dass der Kampf der Résistance und ihre Ideale untergehen in einem allgemeinen Gedenk-ritus an Opfer schlechthin, der zudem auch Täter einschließt. Diese Gefahr besteht umso mehr, als es immer weniger Zeitzeugen gibt.

In einer weiteren Entschließung zu »Erinnerung und Geschichte«, mit deren richtiger Verbindung viel auf dem Spiel stehe, geht es vor allem um zwei Dinge:

– Die Bewahrung des jährlichen Schülerwettbewerbs zu Themen aus Widerstand und Deportation und seine Ausdehnung auf weitere Altersstufen;

– Eine konsequente, angemessene Behandlung des Zweiten Weltkriegs, des Faschismus und des Widerstandes in den Lehrbüchern und -programmen und in der Lehrerausbildung.

Diese zweite Entschließung enthält noch weitere Forderungen und Zielsetzungen, darunter:

– Weg mit den Namen von Kollaborateuren auf Straßenschildern, und keine neuen hinzu, wie manche es wünschen;

– Alle nationalen und lokalen Geschichtstaufarbeitungen der ANACR erfassen, unter Nutzung des Internet;

– Schnellstmöglich eine nationale Ausstellung über die Résistance fertig stellen;

– Die Prüfung der Möglichkeit einer internationalen Begegnung, zusammen mit der FIR, zum Thema »Widerstand in Europa und Wiederaufleben faschistischer Tendenzen«

In meiner Rede vor dem Kongress habe ich unter anderem von unserem Biographischen Lexikon gesprochen, entstanden aus unserem Bemühen, keinen der Widerstandskämpfer der Vergessenheit anheim fallen zu lassen.

Das war sicher der Anlass für zwei Delegierte, mir nach dem Kongress nach Berlin zu schreiben und Details von ihren Begegnungen mit Deutschen zu übermitteln.