Faschismus und Antisemitismus

geschrieben von Hannes Püschel

5. September 2013

Zum Beitrag von Kurt Pätzold in antifa November/Dezember
2010

Jan.-Feb. 2011

Hannes Püschel ist Landessprecher der VVN-BdA Brandenburg

In der letzten antifa skizzierte Kurt Pätzold Geschichte und Gehalt der als »Dimitrow-These« bekannt gewordenen Faschismusdefinition des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationalen (EKKI). Er verteidigt sie gegen Verkürzungen und Fehlinterpretationen und kommt zu dem Schluss, dass sie auch heute noch geeignet sei, den deutschen Nationalsozialismus (NS), den er dem Faschismus im Sinne dieser Definition zurechnet, zu erklären.

Zwar merkt er an, dass der »deutsche Faschismus« Initiator einer Judenverfolgung ungeheuren Ausmaßes gewesen sei, diese stelle aber nur einen, wenn auch drastischen, Nebenaspekt des Regimes dar, der an der Zuordnung des NS zu Familie der europäischen Faschismen nichts ändere. Er legt aber nicht dar, warum man den Begriff des NS durch seine Gemeinsamkeiten mit autoritären Regimes und Militärdiktaturen, statt durch sein Spezifikum, die fabrikmäßige Menschenvernichtung, bestimmen sollte. Mit Bezug auf Kritik, dass die EKKI-Definition Judenmord und massenhaftes Mitmachen der Deutschen ausspare, kritisiert er, dass es ahistorisch sei, ihren Verfassern die Nichtberücksichtigung von Fakten vorzuwerfen, die 1933 noch nicht absehbar gewesen seien. Ahistorisch ist es aber auch, den Nationalsozialismus heute theoretisch zu fassen zu versuchen, ohne die Shoa und den Fakt, dass die Deutschen noch am 7. Mai 1945 nur unter Anwendung massivster Gewalt vom Massenmord abzubringen waren, wovon u.a. die Friedhöfe der Roten Armee und die Massengräber der Todesmärsche zeugen, zu berücksichtigen.

Leider kann bei der Lektüre des Textes der Eindruck entstehen, dass eine »materialistisch fundierte und sich an der marxistischen Theorie orientierende Analyse des Faschismus« nur in Form der der EKKI-Definition zu haben sei. Damit wird jedoch eine langjährige Diskussion in der von Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie beeinflussten Linken ignoriert, die gezeigt hat, dass die Annahme nicht haltbar ist, beim Nationalsozialismus handele es sich um einen Faschismus unter vielen.

Moishe Postone hat gezeigt, dass es sich beim NS vorrangig um eine »antikapitalistische« antisemitische Bewegung gehandelt habe, die die Juden mit dem Kapitalismus gleichsetzte und dabei alle konkreten Aspekte wie Industrie und Technologie aus ihrem Kapitalismusverständnis ausschloss. Die Juden wurden ihr zur Personifikation der unfassbaren, zerstörerischen, unendlich mächtigen, internationalen Herrschaft des Kapitals. Die »antikapitalistische« Revolte dieser Bewegung geriet zur Revolte gegen die Juden als Verkörperung der abstrakte Dimension des Kapitals. Die Überwindung des Kapitalismus und seiner negativen Auswirkungen wurde mit der Überwindung der Juden gleichgesetzt.

Anders als im italienischen Faschismus, errichtete diese Bewegung an der Macht nicht ein Machtzentrum, das Staat und Gesellschaft seiner totalen Herrschaft unterwarf. Stattdessen herrschte ein Bündel miteinander konkurrierender Banden (»Rackets«), die miteinander um Macht und Einfluss kämpften und nur durch das gemeinsame Streben nach Weltherrschaft und die begangenen Verbrechen zusammengehalten wurden.

K. Pätzold stellt fest, als die Führer des NS »… militärisch geschlagen abtreten mussten, war in der deutschen Gesellschaft nach wie vor oben, was 1933 oben gewesen war. Die an der Spitze der gesellschaftlichen Pyramide hatten ihr Eigentum im Ganzen erhalten, und manche hatten es gemehrt, die kleinen Leute waren zu Millionen um dieses Eigentum gebracht.«

Vorher jedoch hatten die »kleinen Leute« sich alle Mühe gegeben, das Eigentum ihrer jüdischen Nachbarn an sich zu bringen und im besetzten Europa nicht nur Stöckelschuh und Kräglein aus Pelz zusammenzurauben. Und die, die vor 1933 »oben gewesen waren«, waren mit der stärksten kommunistischen Partei außerhalb der Sowjetunion konfrontiert. In dem Teil Deutschlands, in dem sie nicht unter dem Schutz sowjetischer Panzer standen, waren die Kommunisten nach 1945 eine verachtete und bald auch wieder kriminalisierte, vor allem aber politisch bedeutungslose Minderheit, der ihr Widerstand als Verrat am deutschen Volk vorgeworfen wurde.

Im gemeinsamen Verbrechen des Vernichtungskrieges und Massenmordes zusammengeschweißt, entstand tatsächlich die deutsche Volksgemeinschaft als Kollektiv der Mörder. Damit und mit den Folgen die sich daraus für die postnationalsozialistischen Nachkriegsgesellschaften in Deutschland und Österreich ergeben auseinanderzusetzen, wäre die Aufgabe materialistischer antifaschistischer Theoriebildung heute.