Gegen jeden Anstand

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Der Greifswalder Skandal um die Lea-und-Hans-Grundig-Stiftung

Nov.-Dez. 2009

»Lea Grundig ist eine große Künstlerin! Ihr zügelloser, leidenschaftlicher Schmerz hält sie nicht davon ab, bewusst und gegenständlich den Widerpart des Schmerzes darzustellen: den Kampf, den Aufrührer, den organisierten Willen zur Überwindung der faschistischen Menschenfresser«, schrieb Louis Fürnberg am 14. Januar 1948 in der Prager Zeitung Vêstnik.

Die Universität Greifswald verlieh 1972 der Malerin Lea Grundig den Ehrendoktor für ihr künstlerisches Lebenswerk. Zusammen mit ihrem Mann hatte sie vor und nach der Machtübertragung auf Hitler unermüdlich mit den Mitteln ihrer Kunst den Faschismus angeprangert. Hans Grundig bekam 1934 Berufsverbot und wurde 1942 ins KZ Sachsenhausen verbracht. Lea Grundig wurde erstmals 1936 verhaftet und 1939 aus Deutschland ausgewiesen. Auch im Zufluchtsort Palästina hat sie ihren politischen Widerstand auf unzähligen Blättern Ausdruck verliehen. Als Dank für die akademische Ehrung stiftete Lea Grundig den »Hans-und-Lea-Grundig-Preis«, der für außerordentliche künstlerische und kunstpädagogische Leistungen an Absolventen vergeben werden sollte, was auch bis 1996 geschah. Dann aber nahmen »DDR-Kritiker« das politische Engagement von Lea Grundig unter die Lupe und fanden heraus, dass die Namen Lea und Hans Grundig »nicht demokratietauglich« wären, denn Lea habe als Präsidentin des Verbandes Bildender Künstler der DDR »Nichtlinientreue« aus dem Verband ausgeschlossen und damit deren Werdegang ruiniert. Außerdem habe sie als ehemalige Zionistin zionistische Überzeugungen in der DDR bekämpft. Es ist skandalös, dass mit solchen Argumenten das antifaschistische Lebenswerk von weltweit anerkannten Künstlern im Namen »linientreuer DDR-Oppsition« diffamiert wird. »Wenn nur die Sieger Geschichte schreiben, dann widerfährt den Verlierern selten Gerechtigkeit« (Johannes Rau am 10. März 2000).

Lea Grundig wurde 1906 als Tochter eines bekannten jüdischen Kaufmanns in Dresden geboren. Mit ihrer familiären Tradition setzte sie sich schon früh auseinander und wurde bereits mit 14 Jahren Mitglied im zionistischen Jugendbund »Blau – weiß«. Mit 16 Jahren begann sie ihr Lithographiestudium an der Kunstakademie in Dresden. Unter dem Einfluss progressiver Lehrer und durch die Auseinandersetzung mit der sozialen Lage der Arbeiter führte ihr Weg sie zur KPD. Dort lernte sie auch die Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands (ASSO) kennen. Lea Grundig konnte 1939 über Umwege nach Palästina emigrieren, das Land, dem sie in ihrer zionistischen Sehnsucht sehr nahe stand. Nach der Internierung im Flüchtlingslager Athlit lebte sie von 1942 bis 1948 in Haifa und Tel Aviv. Die Situation in Palästina und das solidarische Zusammenleben der dort Angekommenen war für sie eine wichtige Erfahrung. Im Schmelztiegel der Emigranten und Flüchtlinge stürzte sie sich in rastlose Arbeit. Der deutsche Faschismus und die Konzentrationslager waren nun ihr Thema. Die ständige Angst um das Leben ihres Mannes bekämpfte sie Tag und Nacht mit Zeichnen. Das Leben im Kibbuz erlebte sie als Verwirklichung ihrer sozialistischen Vision. Doch nach der großen Befreiung Europas vom deutschen Faschismus durch die Anti-Hitler-Koalition hielt es sie nicht länger in Palästina. 1948 kam sie über Prag dann 1949 nach Dresden zu Hans Grundig zurück. Nun wurden auch befreite Menschen zum Thema ihres künstlerischen Schaffens. Die Erinnerung an die Shoa, das »Tal des Todes«, »Niemals wieder«, »Getto Aufstand« wechseln mit Themen vom Aufbau der DDR. Neue Zyklen entstehen »Kohle und Stahl für den Frieden«(1953), »Kampf dem Atomtod« (1958).

Lea Grundig war 1949 bis 1967 die erste Professorin für Grafik und Malerei mit eigenem Lehrstuhl an der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden. Sie arbeitete im Zentralvorstand des Verbandes Bildender Künstler und setzte sich seit 1950 auch parlamentarisch für die Förderung von Kunst und Wissenschaft in der jungen DDR ein. Als Mitglied der Deutsche Akademie der Künste und als Präsidentin des Verbandes Bildender Künstler war ihr die Förderung junger Künstler besonders wichtig. Weggefährten berichten, dass sie als Mitglied des Zentralkomitees der SED politischen Problemen nicht aus dem Weg gegangen sei. Sie sei es gewesen, die die Widersprüche des Kampfes um den Frieden im Nahen Osten und das Leben der Palästinenser im Staat Israel immer wieder zur Diskussion stellte. Sie hat sich auch der belastenden innerparteilichen Auseinandersetzung um den Zionismus nicht entzogen. Immer wieder fand sie dabei Bundesgenossen in verschiedenen Kreisen der Gesellschaft.

Das Ansinnen, die Namen Lea und Hans Grundig von der Stiftung zu lösen und damit ihr Anliegen zu tilgen, widerspricht dem deutschen Stiftungsrecht und erst recht jedem akademischen Anstand.