Geschichtsbild vorgegeben

geschrieben von Dr. Susanne Willems, Berlin, Bundessprecherin der VVN-BdA Prof. Dr. Heinrich Fink, Berlin, Bundesvorsitzender der VVN-BdA

5. September 2013

Stellungnahme der VVN-BdA zum Brandenburger Regierungskonzept

März-April 2009

Das CDU-geführte Kultusministerium in Brandenburg hat einen 104 Seiten umfassenden Entwurf eines Konzepts der Landesregierung »Geschichte vor Ort: Erinnerungskultur im Land Brandenburg für die Zeit von 1933 bis 1990« vorgelegt und gesellschaftliche Kräfte und Einrichtungen zu Stellungnahmen aufgefordert. Bundessprecherin Dr. Susanne Willems übernahm die Formulierung der in verschiedenen Gremien der VVN-BdA diskutierten nebenstehenden Thesen, die der Brandenburger Kulturministerin als Standpunkt der VVN-BdA übermittelt wurden. Das Konzept und weitere Positionen zu ihm finden sich unter:

http://www.mwfk.brandenburg.de/sixcms/detail.php?id=bb1.c.142083.de

1. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen e.V. (VVN-BdA) empfiehlt eine Bestandsaufnahme des Ministeriums, die alle Orte der Erinnerung an Terror, Widerstand und Verfolgung in der Nazizeit und an die Befreiung von Faschismus und Krieg katalogisiert, und insofern die 1993 erschienene Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung zu den NS-Gedenkstätten im Land Brandenburg und den Bedarf im Bereich des Denkmalschutzes fortschreibt.

2. Um die Tätigkeit der Landesregierung im Bereich des Erhalts und der Erweiterung des Angebots von Stätten der Erinnerung an die Naziverbrechen und den antifaschistischen Widerstand einschätzen zu können, wäre eine Übersicht über die bisherigen und die geplanten finanziellen Förderungen geglie-dert nach Investitionen in bauliche Anlagen und (anteilige) Finanzierungen von Personal für administrative, archivalische, wissenschaftliche und pädagogische Arbeit hilfreich.

3. Zur Unterstützung der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Nazizeit wäre es sinnvoll, in Form einer Handreichung der Landesregierung künftig Ihre Hinweise auf die für Gruppen in Brandenburg erreichbaren Förderungen aus Landes-, Bundes- und EU-Mitteln für solche die Stätten der Erinnerung im In- und Ausland einbeziehende Bildungsarbeit insbesondere von und mit Jugendlichen zur Hand zu haben.

4. Weil in der Auseinandersetzung um die Ursachen und den Charakter der Naziherrschaft und um die Voraussetzungen, Chancen und politischen Perspektiven des Widerstands gegen Faschismus und Krieg so ziemlich alles umstritten ist, was sich wiederum im Streit um die Analyse und Bewertung jedes epochalen Neubeginns ab 1945, 1949 und 1990 spiegelt, halten wir ein »Konzept der Landesregierung« zur »Erinnerungskultur im Land« für überflüssig: Richtig ist, dass die Landesregierung die Rahmenbedingungen für die historisch-politische Bildungsarbeit schaffen kann und muss. Nicht aber sollte sie ihrerseits, indem sie das gewünschte Ergebnis der Bildunsgarbeit vorwegnimmt, ein – wie durch den vorgelegten Entwurf bestimmtes – eigenes Geschichtsbild vorgeben.

5. Die 104seitige Ausarbeitung ist unseres Erachtens kein geeignetes Mittel zur Eröffnung einer öffentlichen Debatte, was auch die bisher publizierten Stellungnahmen zeigen, mit denen zumeist versucht wird, durch textliche Änderungen oder Ergänzungen die eigenen Kenntnisse, Tätigkeiten oder Auffassungen in einem dann 104-Seiten-Papier zur Geltung zu bringen und gewürdigt zu wissen.

6. Wir nehmen zur Kenntnis, daß Ihnen um jeden Preis an einer politischen Diffamierung der antifaschistischen Erinnerungs- und Bildungsarbeit bis 1990 gelegen ist. Wir erlauben uns deshalb, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie Gefahr laufen, einen »Generalplan Erinnerungsarbeit Ost« zu beschließen, der früheres öffentliches Geschichtsbewußtsein in der DDR durch ein nicht minder ministerial generiertes und vor allem affirmatives Geschichtsbild zu ersetzen wünscht: Die einleitende Wendung gegen den einst »verordneten«, »staatsoffiziellen« Antifaschismus steht unter dem Aspekt demokratisch und pluralistisch organisierter Erinnerungsarbeit im Widerspruch zu der Festlegung, daß in allen grundsätzlichen Angelegenheiten innerhalb der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten der Bund und das Land als Mittelgeber das Sagen zu haben haben.

7. Aneignung von Geschichte ist ein kritischer Prozeß, der immer von der Wahrnehmung der Gegenwart und von den politischen Hoffnungen für die Zukunft geprägt ist. Soweit die Landesregierung Rahmenbedingungen für das den Opfern der Verbrechen von Faschismus und Krieg gewidmete Gedenken und für die Erinnerung an und die Forschung über die Lebenssituationen der Verfolgten und über die der Männer, Frauen und Jugendlichen, die sich politisch ambitioniert der Naziherrschaft entgegenstellten, verbessern will, wird sie stets die Meinungsfreiheit und speziell die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre garantieren und deshalb folglich eine Pluralität auch gegensätzlicher und einander ausschließender Zugänge zulassen müssen.

8. Besorgnis erregt bei der Lektüre Ihres »Konzept-Entwurfs«, daß die 104seitige Ausarbeitung es versäumt, überhaupt das einende Ziel eines solchen Programms, und damit die Grenzen jener von uns angemahnten Offenheit, zu bestimmen: die Unterbindung jeglicher nazistischen politischen Bestrebungen, die abermals unsere Gesellschaft gewalt- und kriegsbereit nach innen und außen faschistisch zu deformieren trachten.

9. Die Lektüre des »Konzept-Entwurfs« hinterläßt den Eindruck, daß sich die Landesregierung des antifaschistischen Widerstands aus den Reihen der Arbeiterschaft in Brandenburg schämt. Hinsichtlich der begrüßenswerten Aufmerksamkeit für die Geschichte der Zwangs- und KZ-Sklavenarbeit im System der Kriegswirtschaft empfehlen wir die Zuhilfenahme der von Prof. Dr. Dietrich Eichholtz unter Mitarbeit von Dr. Almuth Püschel 1993 herausgegebenen Publikation »Brandenburg in der NS-Zeit«, die in der von der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung verlegten Fassung ein von Gerhard Birk zusammengestelltes Inventar der heranzuziehenden Quellen zur Zwangsarbeit im Brandenburgischen Landeshauptarchiv enthält.

10. Der ministeriale Duktus, am grünen Tisch eine landesweite »Erinnerungslandschaft« herstellen zu wollen mit Querbezügen zwischen Gedenkorten und Kooperationsempfehlungen mit Forschungseinrichtungen, erscheint wirklichkeitsfremd. In der Sache empfehlen wir dringend, Bezüge zwischen Gedenkorten und die Installation von Ausstellungen und Kommentierungen an Gedenk- und Erinnerungsorten auf die für das Verständnis erforderlichen historischen Rückbezüge zu beschränken.

11. Die Gliederung des »Konzept-Entwurfs« faßt die Terrorisierung politischer Gegner in der Nazizeit und die nazistische Politik des Völkermords gegen Juden und gegen Sinti und Roma unter den epochenübergreifend verwendeten Begriffen »Repression und Verfolgung« sowie »Herrschaft, Alltag und Widerstand« zusammen. Statt begriffliche Unterscheidung als Ausdruck gedanklicher Klarheit anzustreben, wird damit und mit der Wendung von der einen und der anderen »deutschen Diktatur« der Verharmlosung der Menschheitsverbrechen des deutschen Faschismus das Wort geredet.

12. Die Denunzierung des Antifaschismus gepaart mit einer gerade opportun erscheinenden Engführung der Interpretation der Geschichte der Nazizeit ruiniert jedes dauerhafte Angebot für die Bildungsarbeit, weil die Ausbildung kollektiven Gedächtnisses nicht allein eine deutsche oder provinziell brandenburgische Angelegenheit ist, sondern als internationale für nachkommende Generationen die Erinnerung der Menschen aufzunehmen hat, die in den von Nazi-Deutschland überfallenen und unterjochten Ländern der deutschen Okkupation widerstanden haben, die im deutschen System des Terrors, des Vernichtungskriegs und des Völkermords hingemordet wurden, und die als Angehörige der Roten Armee und aller alliierten Streitkräfte ihr Leben auch für unsere Befreiung von Faschismus und Krieg eingesetzt haben.

13. Daß sich das auf Seite 103f. mitgeteilte Vorhaben Ihres Hauses, die künftige Förderung von Projekten im Bereich der wissenschaftlichen, musealen und pädagogischen Auseinandersetzung mit der Nazizeit auf die auf den Seiten 39 und 70f. genannten Desiderate zu beschränken, und nur noch »im Landesinteresse« liegende Projekte der Erinnerungsarbeit zu fördern, in der Landesregierung oder im Parlament der gebotenen parteiübergreifenden Zustimmung erfreuen wird, halten wir für völlig ausgeschlossen.

Abschließend gestatten wir uns, Ihnen die Erklärung der am 25. Januar dieses Jahrs auf Einladung des Internationalen Auschwitz Komitees in Berlin versammelten Präsidentinnen und Präsidenten Internationaler Lagergemeinschaften »Erinnerung bewahren – authentische Orte erhalten – Verantwortung übernehmen« zur Kenntnis zu geben

Obgleich die Landesregierung bei Errichtung der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten ihre Abkehr von dem am 11. Februar 1993 vom Europäischen Parlament zum Ausdruck gebrachten Konsens der »Ablehnung jeder willkürlichen Verquickung zwischen der Realität der nationalsoziali-stischen Lager und ihrer etwaigen Nutzung nach dem Krieg« dokumentiert hat und diese seit nunmehr 15 Jahren praktiziert, erklären wir, die VVN-BdA und ihre Landesvereinigungen sowie die assoziierten Lagergemeinschaften, daß wir im Sinne der von den Präsidentinnen und Präsidenten der Internationalen Lagergemeinschaften angemahnten Fortsetzung des Dialogs mit den zur Bewahrung ihrer Erinnerung an ihre Seite getretenen Menschen zum offenen Gespräch über die Ziele und die landespolitischen Aufgaben zur Förderung der Erinnerung an die NS-Zeit in Brandenburg bereit bleiben.