… ist unfruchtbar zu machen“

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Symposium zu „Justiz und Erbgesundheit“ im Faschismus

Jan.-Feb. 2007

Die Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“ an der Justizakademie des Landes Nordrhein-Westfalen in Recklinghausen veranstaltete vom 6.-8. Dezember 2006 ein Symposium „Justiz und Erbgesundheit“. Die für diese Stelle derzeit zuständige Richterin Dr. Hella-Verana Daubach hatte hierzu vor allem Justizangehörige verschiedener Gerichte des Landes sachkundige Referenten, Betroffene und mit Karin Berndt vom Arbeitskreis Justiz Mannheim auch eine Vertreterin des bürgerschaftlichen Engagements zur Aufhellung der Rolle der faschistischen Justiz, der Kontinuitäten nach 1945 und der Würdigung der Opfer eingeladen. Die in die Gegenwart reichenden Folgen der Untaten des Faschismus wurden den Teilnehmern durch den Film „Lebensunwert“ – Der Weg des Paul Brune von Robert Krieg und Monika Nolte auf erschütternde Weise nahegebracht. Wo heute schon über wieder über „lebensunwertes Leben“ laut nachgedacht wird, sollte dieser Film zur Anschauung nicht fehlen.

(Die DVD „Lebensunwert“ ist zum Preis von 14,90 Euro plus 2,50 Euro Versankosten zu beziehen bei: Westfälisches Landeszentrum, 48133 Münster (E-Mail: medienzentrum@lwl.org)

„Tod dem lebensunwerten Leben“ proklamierten die „Nationalsozialistischen Monatshefte 1930. Das war die brutale Kurzfassung dessen, was Adolf Hitler im August 1929 in seiner Schlussrede auf dem Nürnberger Parteitag der faschistischen NSDAP erklärt hatte: Wenn in Deutschland jährlich eine Million Kinder geboren und zugleich 700 000 bis 800 000 der Schwächsten „beseitigt“ würden, wäre das im Endergebnis sogar eine Kräftesteigerung. Am 14. Juli 1933, das Regime war eben im Amt, verkündete die „Reichsregierung“ das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das im Januar 1934 in Kraft trat. Mit dem Gesetz, so Ministerialdirigent im Innenministerium Arthur Gütt, solle der „Verschlechterung des Erbgutes unseres Volkes“, den Minderwertigen und Asozialen, die „völlig unbrauchbar für das Leben sind“, den „erblich belasteten“, die sich „hemmungslos fortpflanzen“ begegnet werden.

Dessen 1. Paragraph verurteilte die als „erbkrank“ Deklarierten zur „Unfruchtbarmachung“, zur Sterilisierung. Erbliche Taubheit, Blindheit, Fallsucht, Schwachsinn, körperliche Missbildungen (Klumpfuß) oder oft willkürlich konstatierte Schizophrenie waren vorgegebene und damit zu „behandelnde“ Fälle für die im ganzen Land geschaffenen „Erbgesundheitsgerichte“. In den Feldzug zur Vernichtung der „lebensunwerten“ waren die Medizin wie die Justiz als Vollstrecker eingebunden. Darum auch widmete sich das Symposium der Justizakademie konzentriert deren in der Geschichtsschreibung unterbelichteten Rolle bei der Realisierung dieses Gesetzes, der bereitwilligen Mitwirkung der Amtsärzte zur „Reinhaltung der Rasse“, zur „Ausmerze“ der „Volksschädlinge“, der „entarteten“, und des „Untermenschentums“. Etwa 400 000 Zwangssterilisationen wurden zwischen 1933 und 1944 durchgeführt. Mindestens 5000 starben an den Folgen der Verstümmelungen.

Historiker, Richter, von den Maßnahmen des Regimes Betroffene oder deren Vertreter beleuchteten den staatlichen Vernichtungsfeldzug, dessen Vorkämpfer in der Weimarer Republik oder die Rolle von Theoretikern der Eugenik, der Lehre von der „Erbgesundheit, im internationalen Rahmen. „Gedankenspiele“, die im Faschismus gebündelt zur brutalen staatspolitischen Realität werden konnten.

Prof. Hans-Walter Schmuhl brachte diesen, in manchen Beiträgen doch etwas zu kurz gekommenen Tatbestand auf den Punkt. Die Verkündung des Gesetzes und seine Realisierung bezeichnete er als den „Beginn eines weltweit einzigartigen Experiments“, den „Volkskörper zu reinigen“. Das Regime habe die Exekutierung dieser „ureigensten NS-Politik“ in die Hände der Justiz gelegt. Er verwies dabei u.a. auf einem Sonderlehrgang, der vom 12. bis zum 14. Februar 1934 im Berlin-Dahlemer Kaiser-Wilhelm-Institut zur Vergatterung der Vorsitzenden der Erbgesundheits- und Erbgesundheitsobergerichte statt gefunden hat. Hier wurden die Richter von führenden Vertretern des Regimes über die „Aspekte der „Rassenhygiene im völkischen Staat“ informiert, einschließlich einer Vorführung der „Technik der Sterilisierung“ in der Berliner Charité. Land- und Amtsgerichtsrat von Lehe berichtete seinem Vorgesetzen: „Der Lehrgang hat bei den Teilnehmern großes Verständnis für die Grundzüge der Vererbungslehre geweckt und ihnen die richtige Auffassung von den hohen Aufgaben und Zielen einer nationalen Rassenhygiene vermittelt, die bei den Entscheidungen der Erbgesundheitsgerichte zum Ausdruck kommen soll.“

Die „scheinbare Objektivität der Richter verhalf diesen Gesetzen zur Legitimität und zur Akzeptanz“ erläuterte Astrid Ley von der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen. Die Schlüsselstellung der Amtsärzte habe jeden Einspruch der Betroffene ausgeschlossen. Volker Friedrich Drecktrah illustrierte diese Feststellung am Beispiel des Erbgesundheitsgerichtes Stade. Die laut Vorschrift „rein arischen Richter“ entschieden in den „ordentlichen Verfahren“ zur „Unfruchtbarmung“ pro Fall in acht bis zehn, ab 1935 auch schon in drei Minuten über Wohl und Wehe der Opfer, deren Verkrüppelung, auch über Leben und Tod. Tatkräftige Unterstützung fanden die Hüter der „Erbgesundheit des Volkes“ durch die Wohlfahrtsverbände, Hilfsschullehrer, selbstverständlich durch alle Zweige des Gesundheitswesens, wie Johannes Vossen in seiner Untersuchung zur „sozialrassistischen Ausrichtung“ des Wuppertaler Erbgesundheitsgerichts anmerkte. Nicht wenige Beteiligte seien nach 1945 durch das Gesetz zum Artikel 131 wieder in den Staatsdienst gelangt, standen nicht selten im neuen Amt ihren früheren Opfern gegenüber. Ein Tatbestand der, wie vor allem von Margret Hamm vom Bund der „Euthanasie“-Geschädigten und Zwangssterilisierten angemerkt wurde, im Gegensatz stand zur bis heute anhaltenden Stigmatisierung der Opfer und der staatlichen Weigerung, diese Gesetzgebung als faschistisches Unrecht anzuerkennen.

Paul Brune nahm an diesem Symposium teil. Der 1935 geborene, wurde als achtjähriger von einem „Erbgesundheitsgericht“ als „lebensunwert“ abqualifiziert. Er überlebte mit Glück und Lebenswillen „Idiotenanstalten“ und „Pflegeeltern“ die ihn noch bis 1957 als „Psychopathen“ ausbeuten konnten. Seine NS-Akte, die ihm „asoziales Verhalten infolge Erbanlage“ attestiert hatte, lag bis ins Jahr 2003 auf den Schreibtischen von Amtsärzten. Dann endlich wurde er als Opfer des Faschismus anerkannt.