»Lasst keinen durch«

geschrieben von Ulla Jelpke

5. September 2013

Die Bundesregierung blockiert Verbesserungen im Europäischen
Flüchtlingsschutz

März-April 2011

Der drohende Zusammenbruch Libyens löst bei den nördlichen Nachbarn in Italien Ängste vor einem »biblischen Exodus« aus, wie Innenminister Franco Frattini äußerte. Mindestens 200.000 Flüchtlinge seien zu befürchten. Und nicht nur das: Libyen war für die gesamte EU der wichtigste Partner in der Bekämpfung der Flüchtlinge aus Staaten wie Somalia, Eritrea und dem Sudan. Der Leiter der Abschottungsagentur Frontex, Ilkka Laitinen weist regelmäßig darauf hin: Nur mit der Kollaboration der nordafrikanischen Staaten kann die Abschottung der Festung Europa gelingen. Seit Mauretanien und der Senegal eng mit Spanien kooperieren, kommen fast keine afrikanischen Flüchtlinge mehr auf den Kanaren an. Seit Libyen verhindert hat, dass Flüchtlinge seine Küsten Richtung Norden verlassen, ist auch im Mittelmeer die Zahl der Überfahrten stark zurückgegangen. Materiell befähigt dazu wurde Libyen, wie auch seine Nachbarstaaten, durch großzügige Ausstattung von Deutschland und der EU mit Polizei- und Militärtechnik. Mit genau dieser geht Gaddafi nun gegen die aufbegehrende Bevölkerung vor.

Gerade hat die EU Hoffnung geschöpft, auch den Landweg dichtzumachen und die Türkei stärker in die Flüchtlingsabwehr einzubinden. Ende Februar werden die EU-Innenminister ein Rückübernahmeabkommen verabschieden, nach dem die Türkei alle illegal über ihr Staatsgebiet in die EU einreisenden Flüchtlinge und Migranten »zurücknehmen« muss. Flankiert wird dieses Abkommen durch finanzielle Hilfen für die technische Modernisierung des türkischen Grenzschutzes (die Grenze zum Irak ist ohnehin militarisiert) und der Kontrolle von Migranten an Flug- und Schiffshäfen. Daneben sollen die Hilfen, wie man bei der EU-Kommission nicht müde wird zu betonen, auch dem Aufbau eines effizienten Asylsystems in der Türkei dienen. Doch dass die Türkei ernsthaft Flüchtlingen aus Afghanistan oder dem Iran ein faires Asylverfahren bieten wird, ist vollkommen unrealistisch. Bislang hat die Türkei nicht einmal Anstalten gemacht, die Genfer Flüchtlingskonvention in vollem Umfang anzuwenden.

Währenddessen herrscht beim Aufbau eines europäischen Asylsystems, das in allen EU-Staaten ein vergleichbares Niveau des Flüchtlingsschutzes und einheitliche Verfahrensgarantien für Asylsuchende bietet, kleinliches Feilschen. Die Bundesregierung versucht jede Einigung zu verhindern, die auch nur zu minimalen Änderungen und Verbesserungen des deutschen Rechts führen würde, einschlägige Verhandlungen sind durch die deutsche Blockadehaltung komplett zum Erliegen gekommen. Einmal beschlossene Richtlinien werden von Deutschland zögerlich und oft unzureichend umgesetzt. Vor allem versucht die Bundesregierung auf EU-Ebene, die Staaten an den südlichen Außengrenzen zu einer verstärkten Flüchtlingsabwehr zu zwingen. Schon werden in der Regierungskoalition Stimmen laut, FRONTEX müsse über eine eigenständige, 2500 Mann starke Küstenwache verfügen können, die die Seegrenzen sichert. Das Signal ist eindeutig: man traut den südlichen EU-Staaten einfach nicht zu, konsequent genug alle Migranten von den Grenzen fernzuhalten – und damit auch vom eigenen Staatsgebiet.

Dabei ist die Grenzüberwachung ein ganz wesentlicher Ausdruck staatlicher Souveränität. Diese wird mit der Forderung nach einer EU-Küstenwache der südlichen EU-Staaten ganz offen in Frage gestellt.

Realistisch ist das im Moment zwar nicht. Zunächst werden im Rahmen der »Solidarität der Mitgliedsstaaten« erkleckliche Geldsummen an Italien fließen, damit es seine Küstenwache entsprechend hochrüsten kann. Deutschland und andere Staaten haben bereits die Bereitstellung von Ausrüstung (Hubschrauber, Schiffe) und Personal angeboten, um sich unter Koordination von FRONTEX an der Flüchtlingsabwehr zu beteiligen. Und schließlich wird man alles dafür tun, um im Norden Afrikas wieder für stabile Verhältnisse zu sorgen – mit neuem Personal. Die Namen werden nicht mehr Ben Ali, Mubarak oder Gaddafi sein – aber die von der EU gestellte Aufgabe wird bleiben: Lasst keinen durch! An der wirtschaftlichen Ausbeutung sowie an Waffenexporten, die zu großen Teilen Fluchtbewegungen erst verursachen, soll dagegen nichts geändert werden.