Mehr als ein KZ

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Untersuchung beleuchtet die Rolle Sachsenhausen im SS-Terrorsystem

Jan.-Feb. 2007

Hermann Kaienburg: Der militär- und Wirtschaftskomplex der SS im KZ-Standort Sachsenhausen-Oranienburg. Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Bd. 16. Metropol Verlag, Berlin, 428 Seiten, geb. 24 Euro. Der Band ist bei der Stiftung zum Preis von 14,40 Euro zu beziehen.

Theodor Eicke am 2. Dezember 1935 in einem Erlass an die KZ-Kommandanten und den Totenkopfsturmbann „Brandenburg“ vom: „Wir wollen, müssen und werden die todgeweihte Schutzstaffel sein, die, wenn alle anderen einmal den Kampf als verloren aufgeben, auf ein Wort des Führers oder seines Reichsführers- SS die Fahne der Freiheit durch feuerspeiende Gassen trägt und wenn sie dabei stirbt.“

Hermann Kaienburg, der sich durch zahlreiche Untersuchungen über die Geschichte der faschistischen Konzentrationslager einen Namen als herausragender Sachkenner gemacht hat, präsentierte Mitte Oktober letzten Jahres in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen und in der Berliner Topographie des Terrors seine neueste Forschungsarbeit. Beide Orte haben eine geschichtliche Quelle und waren über Jahre eng miteinander verbunden: Auf dem Gelände der Topographie, der ehemaligen Prinz-Albrecht-Straße, saß die Zentrale des faschistischen Terrorregimes. Hier residierten die Schreibtischtäter des Reichssicherheitshauptamtes, der Gestapo, des Sicherheitsdienstes. Und im vor den Toren Berlins gelegenen KZ-Sachsenhausen hatte die SS 1936 nicht nur ein Konzentrationslager für die Gegner des Regimes errichten lassen.

Sachsenhausen wurde im Verlaufe der Jahre zum „Schnittpunkt von KZ-System, Waffen-SS und Judenmord“, wie der Untertitel dieses Werkes lautet. die wesentliche neue Erkenntnisse vermittelt über das KZ Sachsenhausen, das bisher als eines unter vielen anderen Einrichtungen des Regimes zur Exekutierung seiner Gewaltherrschaft betrachtet wurde.

Der „KL-Standort Sachsenhausen“ nahm im System des KZ-Staates eine besondere Stelle ein war „nicht nur ein multifunktionaler Militär- und Wirtschaftsstandort sondern mehr ein Organisationszentrum, in dem sich die verschiedenen Gewaltpotentiale wirkungsvoll miteinander verbinden ließen. Entgegen bisheriger Annahme weist Kaienburg nach, dass es sehr wohl „eine organisatorische Verbindung zwischen Holocaust und KZ-System gab“. Das Kapitel über die Entwicklung Sachsenhausens (120 Privatfirmen waren am Aufbau des Lagers beteiligt) „zum multifunktionalen Wirtschafts- und Militärkomplex während des Zweiten Weltkriegs“ macht die Dimensionen dieses Standorts deutlich, der sich von Anfangs 76 ha bis 1945 durch die Ansiedlung immer neuer Einrichtungen auf 388 ha ausdehnte und „in vieler Hinsicht eine Stadt für sich bildete“. Kaienburg: „Die Entwicklung des KZ-Standortes Sachsenhausen zum multifunktionalen SS-Komplex ging also einher mit einer Ausweitung der mit Gewalt verbundenen Einrichtungen und Aktivitäten. Aus einem KZ mit Verhältnissen wie sie in den dreißiger Jahren in den Konzentrationslagern vorherrschten, entstand ein Organisationszentrum der Gewalt, teils in den benachbarten Truppen und Wirtschaftsbereichen“.

Im „Standort Sachsenhausen“ befanden sich als zentrale SS-Einrichtungen neben dem Klinkerwerk und der „Schuhprüfstrecke“ u.a. die „Altsachenverwertungsstelle für Leder“, und die Uhrwerkstatt, in der Häftlinge Raubgut und die Hinterlassenschaften von in den Konzentrationslagern Ermordeten aufarbeiten mussten. Aus dem Kommandostab Himmlers, die Zentralzulassungsstelle für alle SS-Fahrzeuge, ein „Hauptzeugamt“ einschließlich Munitionsniederlage und eigener Munitionsproduktion. Die Kraftfahrtechnische Versuchsabteilung, das „Nachrichtenzeugamt“, die Kriegsgeschichtliche Forschungsstelle, eine Dolmetschereinheit. Die „Wehrgeologeneinheiten“ des Kommandostabes des Reichsführers SS war hier stationiert, damit beauftragt, in den besetzten Gebieten Erdgas, Eröl und andere Bodenschätzen aufzuspüren.

Detailliert betrachtet der Autor den Aufbau, die Organisation, den Korpsgeist der SS-Totenkopfverbände (TV) und deren Vorbereitung auf den von hier aus erfolgtem Einsatz in den von der faschistischen Wehrmacht überfallenen Ländern im Osten. Beispiele für deren Brutalität ergänzen diese Feststellungen. Dieser Truppe widmet er, entsprechend ihrer Rolle bei der Bekämpfung des „inneren und äußeren Feindes“ auch im zweiten Hauptabschnitt „Die Entwicklung des KZ-Standortes Sachsenhausen-Oranienburg 1936-1945“ besondere Aufmerksamkeit.

Theodor Eicke, Kommandeur des ersten Konzentrationslager in Dachau, dann amtlich „Führer der Totenkopfverbände und Inspekteur der Konzentrationslager“, setzte auf harte militärische Grundausbildung und unbedingte ideologische Abrichtung im Sinne der faschistischen Doktrinen. Dazu zitiert er aus entsprechenden Erlassen an die KZ-Wachtruppen :“Dort hinter dem Draht lauert der Feind und beobachtet all Eurer Tun, um eure Schwächen für sich zu nutzen. Gebt euch keine Blößen, zeigt diesen Staatsfeinden die Zähne… Ich kann nur harte, zu allem entschlossenen SS-Männer gebrauchen“. Die Bilanz dieses „Zähnezeigens“ fasst Kaienburg so zusammen:“Neuere Recherchen haben ergeben, dass im Konzentrationslager Sachsenhausen einschließlich der Außenlager bis zum Beginn der Lagerräumung am 21. April 1945 30-35 000 Menschen ermordet wurden und an den Haftbedingungen zugrunde gingen. Darin ist eingeschlossen die Zahl der Exekutierten. Außerdem starben Tausende der über 200 000 Menschen, die in das Konzentrationslager eingeliefert wurden, nach dem Transport in andere Lager oder auf den Todesmärschen in den letzten Tagen des Krieges.“