Neoliberalismus heute

geschrieben von Ludwig Elm

5. September 2013

Untersuchung zu fortschrittsfeindlichen Tendenzen in Europa

Mai-Juni 2007

Peter Bathke, Susanne Spindler (Hrsg.)

Neoliberalismus und Rechtsextremismus in Europa. Zusammenhänge – Widersprüche – Gegenstrategien, Karl Dietz Verlag Berlin, 2006, 225 S. (Rosa-Luxemburg-Stiftung, Texte, Bd. 29)

„In der ‚Berliner Republik‘ weht ein neokonservativer Zeitgeist durch Ministerien, Gerichtssäle und Redaktionsstuben. Da ihm die rot-grüne Bundesregierung wenig entgegenzusetzen hatte, sondern sich am Ende noch stärker als zu Beginn ihrer Amtszeit in ‚Neoliberalismus light‘ und einem prinzipienlosen Pragmatismus erging, gewannen christlich-abendländische Werte und Traditionen wieder an Bedeutung.“

(Christoph Butterwegge, Globalisierung, Neoliberalismus und Rechtsextremismus, S. 24)

Das widerspruchsvolle Verhältnis rechtsextremer Bewegungen und Organisationen zur Globalisierung und zu neoliberalen Strategien und Theorien ist in den letzten Jahren wiederholt analysiert und aktuell eingeschätzt worden. Herbert Schui und Stephanie Blankenburg nannten „die Parteien des Zuschnitts der österreichischen FPÖ, der italienischen Forza Italia oder des französischen Front national“ als erfolgreiche Rechtsparteien, deren Wirtschafts- und Sozialprogramme „der restlosen Beseitigung des Sozialstaates, der Freiheit des Unternehmertums, des Marktes, der Auslese durch die Konkurrenz“ das Wort reden. (Neoliberalismus: Theorie, Gegner, Praxis, Hamburg 2002, S. 162). Die vorliegende Veröffentlichung ging aus einer internationalen Konferenz hervor, die von mehreren Institutionen und Gruppen aus verschiedenen Ländern am 3. und 4. Dezember 2005 in Köln veranstaltet worden war.

Schaut man genauer auf die globalen wirtschaftlichen und politischen Prozesse, bemerken die Herausgeber einleitend, sei zu erkennen, „dass die Unterwerfung aller Lebensbereiche unter die Profitlogik und die Propagierung von Standortnationalismus für ein gesellschaftliches Klima sorgt, woran rechtsextremes Gedankengut anschlussfähig ist. Das Soziale wird zur Belastung, Ausgrenzungen sind erlaubt. Rechtsextreme Demagogen greifen die soziale Frage auf, um mit Globalisierungskritik, Nationalismus, der Forderung nach einem starken Staat, Ausgrenzung und Rassismus scheinbare Lösungen der Probleme anzubieten.“ (S. 9) Kristallisationspunkte für Debatten und Manipulationen entwickeln sich aus der Mitte der Gesellschaft, beispielsweise in der Flüchtlings- und Asylpolitik oder bei Kampagnen zu „deutscher Leitkultur“ und „Du bist Deutschland“. Neben und mit dem traditionellen völkischen Nationalismus gewinnt in europäischen Ländern ein moderner Rechtspopulismus an Einfluss, der an den Verwerfungen und sozialen Folgen des Marktradikalismus mit demagogischem Antikapitalismus und völkischem Pseudo-Sozialismus durchaus massenwirksam anknüpft.

Die überwiegend aus der Bundesrepublik, aber auch aus Frankreich, Österreich, den Niederlanden und den USA kommenden Autoren, legen Beiträge zu Querschnittsproblemen sowie Fallstudien zu einzelnen Ländern, Bewegungen oder Organisationen vor. Es gibt z. B. Exkurse zu NPD in Deutschland, FPÖ in Österreich, Front National in Frankreich, British National Party in Großbritannien, Vlaams Belang in Belgien und Liste Pim Fortuyn in den Niederlanden. Die Erörterungen erfassen soziale Prozesse der Konkurrenz und zunehmender Polarisierung, des Sozialabbaus und wachsender Armut, der Ausgrenzung und Deklassierung, der prekären Situation von Minderheiten. Es geht in den Untersuchungen um ideologische Schlüsselprobleme und Tendenzen wie die Anfeindung von Gerechtigkeits- und Gleichheitsideen, Autoritarismus, (Standort-) Nationalismus, Rassismus und Wohlstandschauvinismus, Antisemitismus und Islamophobie, bis zu heutigen Erscheinungsformen von Sozialdarwinismus. Herbert Schui nennt Auslese, Aussiebung und Unterwerfung als Bindeglieder zwischen Neoliberalen und Rechtsextremen. Die Analysen münden in Folgerungen für den Widerstand gegen rechten Populismus und Extremismus, zur Verantwortung für die Opfer rechter Gewalt und für Antifaschismus in der politischen Kultur.

Unberücksichtigt blieben die ost- und südosteuropäischen sowie baltischen Länder. Vernachlässigt wurde der wechselseitige Zusammenhang neoliberaler Denkschulen und Politikkonzepte mit der konservativen Grundströmung in Gesellschaft und politischem System, wie er in der Bundesrepublik seit ihrer restaurativen Gründungsphase zu beobachten ist. Diese Aspekte waren Gegenstand einer Tagung im September 2004 in Jena gewesen. (Konservative Perspektiven im neoliberalen Zeitalter, Jena 2005 – Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen e. V.) Nicht zuletzt erinnern der entschiedene Antisozialismus neoliberaler Vordenker wie Friedrich A. von Hayek und Wilhelm Röpke sowie ihr Beitrag zu rechtsgerichteten Versionen des Totalitarismuskonzepts daran, dass der Neoliberalismus zum rechten mainstream der vorherrschenden Gesellschaftstheorien und politischen Ideologien der westlichen Gesellschaften gehört.