Oberländer versus VVN

5. September 2013

Geschichtliche Wahrheit gegen Unterdrückung und versuchtes Verbot. Von
Ludwig Elm

Juli-Aug. 2009

Demnächst erscheint von unserem Autor Ludwig Elm »Wenn ich einmal der Kanzler wär«: Ein Zwischenruf zur deutschen Einheit.

Papyrossa Verlags GmbH, Juli 2009, ISBN: 3894384182, 14,90 Euro

Im inzwischen erschlossenen Archivmaterial der VVN-BdA umfasst der Vorgang »Oberländer« allein zehn Bände. Das Archiv ist nach vorheriger Anmeldung in der Bundesgeschäftsstelle (Tel. 030/29784174) zu benutzen. Die Abbildungen auf Seite 14 und 16 sind Kopien der Orginaldokumente aus dem Archiv.

Wer war Theodor Oberländer? Das könnten heute vor allem Jüngere fragen, die den Namen höchstens einmal gehört haben. Zunächst: Er war ein typisches Mitglied der Bundesregierungen der fünfziger Jahre unter Kanzler Konrad Adenauer. Die CDU/CSU sah im Weg des 1905 in Meiningen Geborenen die Empfehlung für ein hohes Amt in der »zweiten deutschen Demokratie«: Teilnahme am Hitlerputsch in München am 9. November 1923, 1933 NSDAP, 1934 Professor für Landwirtschaftspolitik in Danzig und Direktor des Instituts für osteuropäische Wirtschaft, als nazistischer Volkstumspolitiker im gleichen Jahr Landesleiter Ostpreußen des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland (VDA) und Leiter des Bundes Deutscher Osten, 1937 Professor an der Universität Königsberg und Gauamtsleiter im NSDAP-Gau Ostpreußen. Nach dem Überfall Nazideutschlands auf Polen 1939 als Osteuropaexperte Geheimdienstoffizier der Wehrmacht, darunter bei einer Sabotageeinheit aus Ukrainern und einer Spezialeinheit zur Partisanenbekämpfung. 1940 Lehrstuhl an der Universität im okkupierten Prag. Nach 1945 Mitbegründer und ab 1950 Landesvorsitzender des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) in Bayern sowie 1954/55 Bundesvorsitzender des Gesamtdeutschen Blocks/BHE. Im Februar 1956 Eintritt in die CDU; Mitglied der rechtsextremen Gesellschaft für freie Publizistik. 1951 Staatssekretär für Flüchtlingswesen in Bayern und von Oktober 1953 bis zum 4. Mai 1960 Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (siehe Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich)

Mit Oberländer, Waldemar Kraft und Gerhard Schröder (CDU) gehörten der Bundesregierung vom September 1953 bereits drei ehemalige Mitglieder der NSDAP und weiterer NS-Organisationen als Minister an. Adenauer, für den Oberländer »braun, sogar tiefbraun« gewesen war, schätzte dessen antibolschewistische Erfahrungen und sein Wissen über die Sowjetunion. Er notierte über ein Gespräch am 20. Januar 1955, er habe Herrn Oberländer gesagt, dass »der Kommunismus noch auf Jahrzehnte hinaus eine große geistige Gefahr für den Westen sein werde. Ich trüge mich deshalb schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, ein Institut ins Leben zu rufen, das den geistigen Kampf gegen den Kommunismus intensiviere«. Der Kanzler bat seinen Minister um Vorschläge – auch personelle – für ein solches Institut. Ende Mai 1955 nahm Oberländer an einer Konferenz des CIA-gesteuerten, militant antikommunistischen »Moral Rearmament Movement« – der »Moralischen Aufrüstung« – in Mackinac/Michigan, USA, teil.

Der Vertriebenenpolitiker und MdB Linus Kather (CDU), kritisierte in einem Schreiben an Adenauer Ende November 1955, dass es schon in der ersten Legislaturperiode eine Fehlbesetzung des Vertriebenenministeriums gegeben habe und »dass heute in den Kreisen, die es angeht, nahezu einmütig die Überzeugung lebendig ist, dass Herr Dr. Oberländer noch mehr versagt hat als Herr Dr. Lukaschek. Bei ihm kommt hinzu eine sehr erhebliche Divergenz zwischen Wort und Tat« und es gäbe den »Mangel einer Vertrauensbasis mit den Verbänden der Geschädigten«. Am 18. Oktober 1957 nannte Adenauer Bundespräsident Heuss die Kandidaten für sein drittes Kabinett. Dabei räumte er ein, es »könne zweifelhaft sein, ob dieses Ministerium noch existenzberechtigt sei«. Es wäre jedoch aus »politischen Erwägungen« beizubehalten und Oberländer dafür wieder vorgesehen. 1958 erhielt dieser das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik. Oberländer vertrat militant antikommunistische Positionen und gehörte zu den aggressiven Vertriebenenpolitikern. Die auch in seinem Fall verdrängte Vergangenheit hatte längst Kontroversen um seine zweite Karriere nach 1945 ausgelöst.

Das Präsidium der VVN reichte am 31. Juli 1959 bei der im Herbst 1958 geschaffenen Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg eine Anzeige gegen Bundesminister Oberländer ein, die sie in einem mehrseitigen Papier begründete. »Die Tat. Wochenzeitung der deutschen Widerstandsbewegung. Interessenorgan der Hinterbliebenen und Opfer« kündigte in Nr. 38 vom 19. September 1959 auf der ersten Seite neben einem Foto von Oberländer an: »Dieser Mann ist heute eine ›hochgestellte Persönlichkeit‹. Wir bringen in der nächsten Ausgabe Enthüllungen über seine Vergangenheit. Sofort Mehrbestellungen aufgeben!« Auf der folgenden Seite wurde über eine revanchistische Rede des Vertriebenenministers anlässlich des Tages der Heimat am 13. September in Bremen berichtet.

Die Ankündigung löste bei Oberländer Panik aus. Er wusste im Unterschied zu den offiziellen Lügen um seine Teilnahme an der faschistischen Besatzungs- und Vernichtungspolitik im Osten und konnte die Brisanz wahrheitsgemäßer Mitteilungen absehen. Am 22. September erörterte er die Situation mit Adenauer einschließlich eines möglichen Rücktritts, den der Kanzler ablehnte. Oberländer entsandte seinen Staatssekretär Peter P. Nahm zur hessischen Landesregierung. Sie sollte die Auslieferung der nächsten Ausgabe der in Frankfurt a. M. erscheinenden »Tat« verhindern. Der Versuch blieb erfolglos. Daraufhin begab der Minister sich in den Abendstunden des 22. September nach Fulda, wo die Wochenzeitung gedruckt wurde. Mitternächtlich erwirkte er einen Beschluss des dafür mobilisierten Amtsgerichtsrats Dr. Jacksch vom Amtsgericht Fulda zur Beschlagnahme der Ausgabe Nr. 39. Die Verfügung wurde unverzüglich von Kriminalbeamten vollzogen, denen jedoch die bereits versandten Exemplare entgingen.

Der Spitzenartikel in der beschlagnahmten Ausgabe lautete »Minister Oberländer unter schwerem Verdacht«. Er enthielt Angaben zu dessen Rolle in der Wehrmacht, Forderungen nach einem Ermittlungsverfahren, Fragen an die Bundesregierung sowie die Ankündigung weiterer »Einzelheiten über die Vergangenheit des Ministers«. Gefordert wurden der Rücktritt Oberländers und ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Die Tat erhob gegen die Beschlagnahme Einspruch. Am 23. September erschien ein Sonderdruck »Angriff auf die Pressefreiheit. »Die Tat« Nr. 39 beschlagnahmt. Es geht um die NS-Vergangenheit Minister Oberländers«. Nunmehr bildeten unter dem verantwortlichen Redakteur Erhard Karpenstein diese Auseinandersetzungen das Hauptthema der Wochenzeitung und erzielten zunehmend bundesweite und internationale Wirkungen.

Bundesrepublikanisches Panorama: Zur gleichen Zeit fanden neue Vorstöße zugunsten einer Generalamnestie für Nazi- und Kriegsverbrechen, Kontroversen um die Diskriminierung kommunistischer NS-Opfer und eine Welle nazistisch-antisemitischer Schmierereien um die Jahreswende 1959/60 statt. Der Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen und MdB von 1957 bis 1965, Hans Krüger (CDU), stellte sich vorbehaltlos hinter Oberländer. Der ehemalige Burschenschafter, NSDAP-Aktivist und Oberamtsrichter (ab 1939) in Westpreußen erwies sich bald als Kandidat für einen weiteren NS-Skandal der Bundesregierung. Von Kanzler Ludwig Erhard im Oktober 1963 in sein erstes Kabinett als Vertriebenenminister aufgenommen, holte ihn ebenfalls die Vergangenheit ein: Krüger war als Sonderrichter an Selektionen sowie Zuchthaus- und Todesurteilen gegen Polen beteiligt. Er musste am 7. Februar 1964 zurücktreten. Für die CDU waren weder die belastenden Tatsachen noch die Aufhebung der Immunität im Juni 1964 Anlass, das Ausscheiden Krügers aus dem Bundestag durchzusetzen; der Blutrichter gehörte ihm bis zum Ende der Legislaturperiode an.

Oberländer versuchte sich am 30. September vor der Bundespressekonferenz zu rechtfertigen. Ein von ihm arrangierter ominöser internationaler »Untersuchungsausschuss« erlitt bald ein Fiasko. In den Wochen und Monaten ab Oktober 1959 mehrten sich in einem immer breiteren politisch-publizistischen Spektrum die Stimmen gegen ihn und zunehmend gegen Bonner Absichten zum Verbot der VVN. Darunter sind Stimmen wie: Zeitzeugen aus der BRD, Israel, Frankreich, Österreich, Polen, Dänemark, Luxemburg u. a. Ländern, Frankfurter Rundschau, Revue und SPIEGEL, der Sozialdemokratische Pressedienst und der Vorwärts, Gewerkschafter, das Internationale Dachau-Komitee und die FIR, italienische Senatoren und britische Unterhausabgeordnete, Protestkundgebungen in London und Wien, nationale Verbände von Verfolgten und Widerstandskämpfern sowie VVN-Gruppen u. a. m. »Die Tat« veröffentlichte im Januar 1960 mehrere Seiten mit Gruß-und Solidaritätsschreiben aus vielen Ländern. Sie meldet am 23. Januar 1960: »Güde: DDR-Material über NS-Richter ist echt. Aufsehenerregendes Eingeständnis des Generalbundesanwalts«.

»Bereits Anfang Oktober 1959 wurden zwischen dem Bundeskanzleramt, dem Innenministerium und Oberländers Haus Möglichkeiten diskutiert, wie man gegen die VVN vorgehen kann. Oberländers Verdruss über die Machenschaften der VVN traf sich mit dem von Bundesinnenminister Gerhard Schröder, der auf Grund seiner SA-Vergangenheit das jüngste Ziel einschlägiger VVN-Veröffentlichungen geworden war. Er favorisierte ein VVN-Verbot, gegen das sich allerdings warnende Stimmen erhoben«. Manchen erschiene dies als »Racheakt der Exekutive gegen unbequeme Mahner«. (Philipp-Christian Wachs: Der Fall Theodor Oberländer (1905-1998). Ein Lehrstück deutscher Geschichte, Frankfurt a. M. 2000) Schröder setzte sich gegen solche Bedenken durch und stellte am 20. Oktober 1959 beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin (West) den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und damit das Verbot der VVN. In der »Tat« vom 31. Oktober wurde gefragt: »Will Schröder Oberländer schützen? Verbotsantrag gegen VVN durch Anzeige gegen den Bundesvertriebenenminister ausgelöst?« Die Fragen wie Vermutungen erwiesen sich als begründet. Max Oppenheimer, Mitglied des Präsidiums der VVN, sah den Verbotsantrag als Ausdruck einer »ministeriellen Solidarität«.

Adenauer stand seinem Vertriebenenminister zunächst weiterhin bei, griff die VVN sowie einschlägige Publikationen der DDR und den dort im April gegen Oberländer durchgeführten Prozess an. In der Haushaltsdebatte des Bundestages zum Etat des Kanzlers am 6. April 1960 rühmte Will Rasner (CDU/CSU) den Kanzler, der das Generationsproblem mit Vierzigjährigen in Schlüsselpositionen bewältige. Nachdem er Schröder, F. J. Strauß und P. Lücke als Beispiele genannt hatte, vermerkte das Protokoll: »(Zurufe von der SPD: Herrn Oberländer haben Sie vergessen! – Lachen bei der SPD.)« Nach einem weiteren Zuruf mit diesem Namen rechtfertigte Rasner – einschließlich des Bezugs auf Globke – den Umgang seiner Partei mit ehemaligen Nazis: »Und damit auch das klar ist: Im Programm der CDU/CSU steht kein neues Entnazifizierungsgesetz. (Beifall bei der CDU/CSU.)«

In der Fragestunde des Bundestages folgte zwei Tage später eine Blamage Oberländers. Willy M. Rademacher (FDP) hatte unter Hinweis auf dessen Angaben im Amtlichen Handbuch des Deutschen Bundestages gefragt, wann und durch welche Instanz er 1943 zum Tode verurteilt worden wäre, sowie, wann und durch welche Instanz diese Todesstrafe aufgehoben worden sei. Oberländer berief sich auf eine nicht nachprüfbare Mitteilung des Höheren SS- und Polizeiführers für Böhmen und Mähren, Karl Hermann Frank. Er räumte ein, dass Frank und Himmler, Reichsführer SS, ihn freigesprochen hätten. In einer Zusatzfrage bemerkte Rademacher, ob der Unterschied der Behauptung im Handbuch zum wirklichen Sachverhalt nicht darart eklatant sei, »dass man in Ihren Angaben im Handbuch des Deutschen Bundestages eine erhebliche Irreführung der öffentlichen Meinung sehen muss?« Nach Oberländers ausweichender Antwort verzichtete Rademacher »bewusst auf eine weitere Frage, da die Antwort für sich selbst spricht. (Beifall bei der SPD.)« Aus der eigenen Fraktion erhielt Rademacher keinen Beifall. Die FDP war in einigen Landesverbänden und bis in den Vorstand selbst noch von unbelehrbaren Altnazis durchsetzt.

Ab Anfang 1960 hatte selbst in Führungskreisen der CDU und bis in ihre Bundestagsfraktion das Unbehagen mit dem Verlauf der Affäre zugenommen. Als im Land die Stimmungslage umschlug und sich daraus Schaden für die Union abzeichnete, wurden Konsequenzen unvermeidbar. Der Kanzler bat den Bundespräsidenten am 4. Mai 1960, Minister Oberländer aus seinem Amt zu entlassen. Bundespräsident Lübke sprach umgehend die Entlassung aus. Im Bulletin der Bundesregierung (Nr. 85 vom 6. Mai 1960) wurden beide Schritte in der denkbar knappsten Form mitgeteilt. Es gab keine Aussage zu den Anlässen oder Gründen, allerdings auch keine der sonst üblichen Floskeln des Dankes. Es bestätigte sich, dass Wahrheitsliebe nicht gerade ein selbstverständliches Merkmal von Politik ist.

Der Etat des Vertriebenenministers stand am 5. Mai 1960 zur Debatte. Sie wurde von Richard Reitzner (SPD) eröffnet: Seine Fraktion ziehe nach dem Rücktritt von Oberländer »ihren Antrag auf Streichung des Ministergehalts zurück. Nach dem Rücktritt des Herrn Ministers sind unsere anderen beiden Anträge, auch der Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, ebenfalls erledigt.« Seine Freunde und er möchten »an diesem Platz unsere Befriedigung darüber ausdrücken, dass ein unruhiger und nicht erfreulicher Abschnitt des deutschen öffentlichen Lebens abgeschlossen ist.« Es gehe nunmehr um den Etat und die Aufgaben des Ministeriums und weniger darum, »die verschiedenen Gründe aufzuzeigen, aus denen in den vergangenen Monaten der Chef des Ministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, Professor Oberländer, und das Ministerium als solches pausenlos im Rampenlicht der öffentlichen Meinung und Kritik standen. Es wurde nicht nur gefragt, ob der Herr Minister politisch tragbar sei oder ob man einen Minister zuviel oder zuwenig habe, sondern es wurde auch die Frage nach der Notwendigkeit des Ministeriums selbst aufgeworfen.«

Zum Werturteil über das Ministerium habe, fuhr Reitzner fort, die Person des Ministers sowie die »in den letzten Monaten sichtbar gewordene Inaktivität, mangelnde Initiative und Leistung des Ministeriums« beigetragen. Viele Mitarbeiter hätten »ihre Zeit und Kraft vergeudet, weil die Vergangenheit ihres Chefs unbewältigt ist.« Obendrein hätten die wirklichen Interessen Oberländers immer auf einem anderen Gebiet gelegen, »auf seinem Fach- und Sachgebiet Ostkunde, Ostfragen und psychologische Kriegführung. Diese Neigung, meine Damen und Herren, war weder gut noch nutzbringend. Man konnte dazu nicht schweigen.«

Dem Redner der CDU/CSU, Ernst Kuntscher, oblag es, die Schlappe der Regierung mit Phrasen zu übertönen. Dieser Etatposten habe »in der Öffentlichkeit besonders viel Spannung ausgelöst. Der Grund dafür war das Problem um den Vertriebenenminister Dr. Oberländer. Ich möchte hier als Sprecher der Fraktion vor aller Öffentlichkeit dem abgetretenen Minister Oberländer für seine jahrelange Arbeit im Dienste der Vertriebenen und Flüchtlinge meinen herzlichsten Dank aussprechen. (Beifall bei der CDU/CSU. – Lachen und Zurufe von der SPD.) Meine Damen und Herren, bitte keine Aufregung, denn Aufregung ist noch lange kein Programm. Ich möchte noch eines sagen: (Abg. Dr. Mommer: Selten hat ein Mann unserem Lande so sehr geschadet wie dieser!) dass jede Leistung eines Dankes wert ist, das müssten auch Sie anerkennen.« Die Unions-Fraktion lege »großen Wert darauf, dass Herrn Dr. Oberländer seine Ehre wiedergegeben« werde; er habe »ein Recht auf Rehabilitierung.«

Auf diese unionstypische Verlogenheitsarie erwiderte Reinhold Rehs (SPD), seine Fraktion würde stets sachliche Leistungen anerkennen: »Aber nach den beschämenden Vorgängen um das Ausscheiden des früheren Ministers Oberländer, nach all dem, was wir in den vergangenen Wochen in dieser Hinsicht erlebt haben, eine solche Dankeshymne in diesem Augenblick und von dieser Stelle anzustimmen, halten meine Freunde und ich für keinen Dienst am Bundestag … und an der deutschen Demokratie.«

Das Verfahren gegen die VVN wurde im November 1962 eröffnet und bald wieder ausgesetzt. Es wurde auf Bundesebene im Oktober 1964 endgültig eingestellt. Vor dem Hintergrund des Eichmann-Prozesses in Jerusalem und des Auschwitz-Prozesses in Frankfurt a. M. sowie eines zumindest tendenziellen Stimmungsumschwungs in der Bundesrepublik und in Westeuropa hinsichtlich des Umgangs mit der NS-Vergangenheit, erschien die offene Unterdrückung der größten Organisation von Verfolgten, Opfern und Widerstandskämpfern nicht mehr opportun. Sie wurde für weite Kreise des In- und Auslands politisch-moralisch fragwürdig und inakzeptabel.

Die Union blieb Oberländer trotz allem ungerührt verbunden: Nach der Ehrenerklärung anlässlich seiner Entlassung bekundete sie dies mit seiner erneuten Mitgliedschaft im Bundestag (1963-1965), der Verleihung des Bayerischen Verdienstordens durch Ministerpräsident Franz Josef Strauß im Juni 1986 sowie späteren Rechtfertigungsversuchen und Zeichen der Verbundenheit mit dem über rund sieben Jahrzehnte unverdrossenen Kämpfer der deutschen Rechten. Seither trugen Politik- und Geschichtswissenschaftler sowie Journalisten dazu bei, die Affäre zu verharmlosen und zu entstellen. Der Adenauer-Biograph Hans-Peter Schwarz schrieb 1991 von einer 1959 begonnenen »Hexenjagd« gegen Oberländer: »Doch zu den schätzenswerten Eigenschaften Adenauers gehört es, Minister oder Mitarbeiter nicht fallenzulassen, wenn sie – wie im Falle Oberländer – zu Unrecht verdächtigt und in einem Ost-Berliner Schauprozess in absentia verurteilt werden.« In seiner 1994 erschienenen Adenauer-Biographie bezweifelte Henning Köhler besonders im Fall Oberländer, ob der Kanzler genau gewusst habe, worauf er sich bei Ministern mit braunem Hintergrund eingelassen habe: »Die Details seiner politischen Vergangenheit sollten erst nach und nach, meist mit Fälschungen aus Ost-Berlin durchsetzt, bekannt werden.« In der Tradition des damals von Adenauer und Oberländer vertretenen antikommunistischen Weltbildes gibt es bis heute kein klärendes historisch-politisches Urteil.

Der schließlich für die Verlierer Oberländer, Kanzler, Regierung und Justiz peinlich sowie politisch abträglich verlaufene Politkrimi von 1959/60 ist wenig bekannt und steht im Schatten der SPIEGEL-Affäre von 1962.

Die Gründe dafür liegen wiederum in den Zuständen, die ihn hervorbrachten: Die lückenlose und unvoreingenommene Darstellung lässt die moralische Überlegenheit der VVN und ihres solidarischen Umfeldes in der Bundesrepublik und in vielen Ländern sowie ihren politischen Erfolg eindrucksvoll hervortreten.