Quer durch die Welt

geschrieben von Ulrich Schneider

5. September 2013

Lore Krügers Erinnerungen sind erschienen

Jan.-Feb. 2013

Lore Krüger, Quer durch die Welt – das Lebensbild einer verfolgten Jüdin, Schkeuditzer Buchverlag, 2012, 155 S., ISBN 978-3-935530-96-5

Als im Frühjahr 2009 die beeindruckende Trauerfeier für Lore Krüger im ND-Gebäude in Berlin stattfand, wurde auch denen, die sie erst in ihren späteren Jahren kennengelernt hatten, deutlich, welch spannendes Leben diese kleine, bescheidene Frau gelebt hatte. Erfreulicherweise hatte sie in den letzten Lebensjahren noch begonnen, ihre Erinnerungen, die sie bereits in zahlreichen Zeitzeugengesprächen an junge Leute weitergegeben hat, aufzuschreiben. »Ich möchte für Euch etwas aus meinem Leben in der bewegten Zeit des 20. Jahrhunderts aufschreiben, damit ihr ›wisst, wie es gewesen ist‹, setzte sie an den Anfang ihrer Aufzeichnungen. Und tatsächlich hat sie viel zu berichten.

Ihre Aufzeichnungen fangen weit in ihrer Familiengeschichte an. Dass sie dabei nicht nur persönliche Aspekte, sondern am Beispiel ihrer Familie auch den Alltag deutscher Juden im 19. Jahrhundert nachzeichnet, macht diesen Teil des Lebensbildes besonders lesbar. Spannend ist auch ihre Perspektive auf die Weimarer Republik. Natürlich sind ihre Ausführungen geprägt durch ihr Wissen über die weitere Entwicklung, dennoch schafft es die 1914 Geborene, die Sichtweise eines Kindes bzw. einer Jugendlichen auf diese Zeit nachvollziehbar zu machen. Damit sind diese Abschnitte gut geeignet, heute Jungen diese so weit entfernt liegende historische Periode anschaulich zu machen.

Hellsichtig war ihre Familie bereit, Lore bereits Anfang 1933 nach England zu schicken, wo sie als Haushaltshilfe Arbeit fand. Ausführlich beschreibt sie aber auch die Mühen, sich als Jüdin überhaupt aus dem faschistischen Deutschland ins europäische Ausland zu retten, und sie zeigt, dass damit noch keine wirkliche Sicherheit gegeben war. Als »feindliche Ausländerin« unterlag sie vielen Einschränkungen, später wurde sie sogar in Frankreich unter menschenunwürdigen Bedingungen im Lager Gurs interniert. Diese Behandlung von NS-Verfolgten, aber auch von Spanienkämpfern, die für die legitime Regierung des Nachbarlandes gekämpft hatten, korrespondierte mit der politischen Haltung der französischen Regierungen gegenüber der Nazi-Herrschaft. Ohne die Solidarität von französischen Antifaschisten wäre ein Überleben nur schwer möglich gewesen.

Anschaulich beschreibt Lore Krüger den bürokratischen Wahnsinn, der mit der Gewährung eines Ausreisevisums nach Mexiko verbunden war. Man fühlt sich an Anna Seghers Roman »Transit« erinnert, nur dass es diesmal einen konkreten Menschen betraf.

Für viele Leser sind sicherlich die Kapitel interessant, in denen Lore über ihre Zeit in den USA und ihre Arbeit für das Blatt »German-American« berichtet. Wenn man bedenkt, welch prominente Antifaschisten an dieser Zeitung, die das Sprachrohr der deutschen Antifaschisten in den USA wurde, mitgearbeitet haben, ist es überraschend, wie wenig bislang zu diesem Thema publiziert wurde. Auch der veröffentlichte Text belässt es oftmals bei Hinweisen, bei denen man sich weitere Erläuterungen z.B. über die Arbeit mit deutschen Kriegsgefangenen gewünscht hätte.

Am Ende der gut 150 Seiten ist man traurig, dass Lore Krüger nicht weitergeschrieben hat, wie sie den antifaschistischen Neubeginn in der DDR konkret erlebte, welche Erfahrungen sie als »West-Emigrantin« gemacht hat oder wie sie ihre intimen Kenntnisse der amerikanischen Lebensweise in ihrer langjährigen Arbeit als Übersetzerin des Aufbau-Verlags hat nutzen können. Auch liest man leider nichts über ihre vielfältigen Kontakte zu den französischen Antifaschisten in den 70er und 80er Jahren, die im Rahmen des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer und der FIR zu einer regen Kooperation auf internationaler Ebene führte. Auch dafür bleibt sie unvergessen.

Im Vorwort schreiben die Kinder Susan und Ernst-Peter, dass Lore Krüger diese Aufzeichnungen erst begonnen habe, als diese sie aufgefordert hätten, »ihre Gedanken in einem Buch für die Enkel aufzuschreiben.« Hier fällt mir unwillkürlich Bert Brecht und das Gedicht »Tao Te King« ein: »Drum sei der Zöllner auch bedankt, er hat sie ihm abverlangt.«