Strafe muss sein

geschrieben von Alfred Fleischhacker

5. September 2013

Daniela Dahn befragt die deutsche Einheit

Juli-Aug. 2009

Daniela Dahn, Wehe dem Sieger! – Ohne Osten kein Westen

Rowohlt Verlag, 304 S., ISBN: 978-3-498-01329-5, 18,90 Euro

Vielleicht hatte Stefan Heym mit seiner Anfang der neunziger Jahre getroffenen Feststellung »von der DDR werde nicht mehr bleiben als eine Fußnote«, deren vierzigjährige Existenz zu gering veranschlagt. Schon die vielen Reden führender Köpfe des politischen Establishments in jüngster Zeit sprechen dagegen.

Mit dem untergegangenen Land DDR, seinen Vorzügen und Nachteilen, vor allem aber mit der Verquickung des kleineren mit dem größeren der beiden deutschen Staaten, beschäftigt sich auch die Schriftstellerin Daniela Dahn in ihrem jüngsten Buch. Es soll nach ihrem Wunsch nicht »die« Wahrheit sein. Eher »ihr« Bilanzbuch, »der bescheidene Versuch, die Geschichte seit dem Untergang des Sozialismus noch einmal anders zu erzählen«.

Schon im ersten Kapitel analysiert sie die Untergangsgesellschaft. Die aber hat größere Dimensionen als die einstige DDR Flächenmaß. Dahns für den Leser schon zu Beginn vielleicht irritierende Folgerung: »Am Ende war es die Ironie der Geschichte, dass jede Seite die andere überwinden wollte«. Sie erinnert daran, dass die Soziale Marktwirtschaft, deren positive Seiten von Millionen nicht in Abrede gestellt werden, erst mit dem Entstehen des sozialistischen Weltsystems nach Ende des zweiten Weltkrieges entstand. Doch mit dem – in manchen Aspekten auch kläglichen – Ende des kleineren Landes begann auch das Zerbröseln des größeren. Gegenwärtig wird der Alltag von Milliarden Menschen durch die Finanz- und Wirtschaftskrise durcheinander gerüttelt. Die meisten Staaten befinden sich im Stadium der Rezession, andere sind schon von der Depression geplagt. Vom angeblich so strahlenden Kapitalismus und seiner Überlegenheit sprechen zurzeit nur noch Narren.

Der Westen wollte in allen Bereichen der Bessere sein. In manchen gelang das auch. Zum Beispiel, als die IG Metall in den späten siebziger Jahren nach einem wochenlangen Streik die 35-Stunden-Woche erkämpft hatte. Die ist inzwischen Geschichte. Seit geraumer Zeit wächst die Arbeitszeit in Deutschland wieder. Nach dem Verschwinden des Konkurrenten konnte Hartz IV beschlossen und erst kürzlich der Beginn des Rentenalters um zwei Jahre nach hinten verschoben werden. Das Ende der Fahnenstange bei den sozialen Einschnitten ist noch lange nicht erreicht.

»So wie die DDR an die Westlöhne nie heranreichen konnte, so hat die BRD den östlichen Vorsprung bei der Gleichstellung der Frau im praktischen Familienrecht nie einholen können. In entscheidenden Punkten bis heute nicht.«, konstatiert die Autorin.

Die verfassungsrechtlich verbürgten Rechte auf Arbeit, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die Gleichstellung der Geschlechter bleiben im vereinigten Land wohl für viele Jahre Wunschträume. Und nach fast 20 Jahren Vereinigung bleibt auch die Angleichung der Lebensverhältnisse im Osten des Landes ein Phantom, das der neu zu wählende Bundestag kaum einfangen wird. Denn Prognosen der Deutschen Bank sagen aus, dass der Osten – -also die fünf neuen Bundesländer – im Vergleich zum Westen nicht aufholen, sondern weiter zurückfallen wird. In 40 Jahren, mithin 2050, soll der Abstand wieder so groß sein wie 1989.

Natürlich wird auch der Dauerbrenner »Stasi« im Buch nicht ausgeblendet. Die Autorin fand heraus, dass der aus Steueraufkommen entnommene Etat für die damit befasste Behörde jährlich ebenso so hoch ist wie der für die gesamte Industrieförderung im Osten. Da kann auf die Dauer zwischen Ostsee und Werra, oder Elbe und Oder nur eine Brache entstehen.

Wie sich die Lebensverhältnisse konkret in Ost und West in den letzten 20 Jahren verändert haben, schildert die Autorin in bewegender Weise an Einzelschicksalen.

Berührend auch ihre sehr persönlichen Wahrnehmungen nach dem Überfall der NATO auf Jugoslawien 1999. An diesem völkerrechtswidrigen Krieg war die Bundeswehr aktiv beteiligt. Mit Flugzeugen, die zivile Objekte wie Brücken, Fabriken, Radiostationen markierten, um sie anschließend in Schutt und Asche zu legen. Die Missachtung der im Artikel 1 des Grundgesetzes verbürgten Rechte wie die Unantastbarkeit der Menschenwürde bereiten der Bundesregierung bis heute keine Kopf- geschweige denn andere Schmerzen.

Daniela Dahn, Gründungsmitglied des Demokratischen Aufbruchs, war als kritische Chronistin der Einheit bis Ende der neunziger Jahre von den Goethe-Instituten wiederholt als Referentin eingeladen worden. 1998 begann mit ihrer Nominierung als Verfassungsrichterin in Brandenburg der Versuch, sie öffentlich zu demontieren. Aus den so genannten Volksparteien nahe stehenden Kreisen ertönte die Frage, ob die in Dahns Büchern geäußerten Kritiken überhaupt verfassungskonform seien. Von diesem Moment an war Daniela Dahn für alle Goetheinstitute und auch für manche deutsche Universitäten zur persona non grata geworden. Die Schriftstellerin wird die über sie verhängten Sanktionen aber sicher verkraften. »Wehe dem Sieger! – Ohne Osten kein Westen« ist ein spannendes Buch. Es ist zur rechten Zeit auf den Büchermarkt gekommen.