Teil 2 der Jahrhundertsaga

geschrieben von Raimund Gaebelein

5. September 2013

Ken Folletts Epos über Faschismus und Krieg

Jan.-Feb. 2013

Ken Follett, Winter der Welt, 1023 S. Lübbe Verlag, Köln 2012, 29,99 Euro ISBN 978-3-7857-2465-1

Die Familie des sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Walter von Ulrich und seiner britischen Frau Maude Fitzherbert erlebt die Zerstörung jeglicher Rechtsgrundsätze nach der Machtübertragung Ende Januar 1933. Maud von Ulrich und die britische Parlamentsabgeordnete Ethel Leckwith, verbunden durch jahrelangen gemeinsamen Kampf um das Frauenwahlrecht, erleben im Berlin des Jahres 33 einen SA-Überfall auf Mauds Zeitungsredaktion. Die Polizei sieht nicht nur tatenlos zu, sondern verhaftet Zeitungsredakteure, die sich dem Überfall entgegenstellen. Bei einer von faschistischen Schlägern gestürmten Wahlkampfveranstaltung lernen Walter und Maud von Ulrich sowie Ethels Sohn Lloyd Williams über den Wissenschaftler Wilhelm Frunze die Gymnasiasten Werner Franck und Wladimir Peschkow kennen In Oranienburg erlebt Lloyd Williams den menschenverachtenden Terror des deutschen Faschismus. Trotz der Massenverhaftung Tausender Arbeiterfunktionäre vertraut Walter von Ulrich immer noch auf den bürgerlichen Anstand, selbst als das Zentrum dem Ermächtigungsgesetz zustimmt.

Nach Cambridge zurückgekehrt, organisiert Lloyd Williams Protestkundgebungen gegen das Auftreten britischer Faschisten um Mosley. Als Redner gewinnt er den emigrierten Robert von Ulrich. Mit seinen Freunden Lenny Griffiths und Dave Williams schließt sich Lloyd Williams 1937 in Spanien den Interbrigaden an, um an der Seite der Spanischen Republik den faschistischen Putsch zurückzuwerfen. An der Belchitefront werden ihm die Rivalitäten zwischen den unterschiedlichen linken Gruppierungen bewusst. Erneut begegnet er Wladimir Peschkow, der im Auftrag des sowjetischen Nachrichtendienstes nach einem faschistischen Spion in den Reihen der Interbrigadisten fahndet. Lloyd muss erleben, wie aus privaten Rivalitäten Spionagevorwürfe entstehen, wie ein taktischer Rückzug mit Kriegsrecht geahndet wird, dem seine Freunde zum Opfer fallen. Desillusioniert kehrt er nach England zurück. 1940 entkommt er mithilfe französischer Partisanen der deutschen Gefangenschaft. Über Spanien kehrt er nach England zurück und wird für die Fluchthilfe alliierter Gefangener aus dem besetzten Frankreich eingesetzt.

Wladimir Peschkow führt der Weg 1939 nach Berlin zurück, wo er im Auftrag des militärischen Nachrichtendienstes GRU ein Nachrichtennetz aufbaut, damit die Sowjetunion frühzeitig über Aufrüstungs- und mögliche Angriffspläne informiert ist. Carla von Ulrich, Werner und Frieda Franck und der ehemalige Zentrumsabgeordnete Heinrich von Kessel erfahren durch intensive Nachforschungen von der systematischen Euthanasie Behinderter. Die Ermordung ihrer Vertrauten Pastor Ochs und Walter von Ulrichs bringt sie an die Seite von Wladimir Peschkows Nachrichtengruppe. Es gelingt ihnen, Informationen und Dokumente zum bevorstehenden Angriff auf die Sowjetunion nach Moskau zu senden, die Richard Sorges Meldungen aus Tokio bestätigen. Nach langem Zögern wird Stalin aktiv.

Der umfangreiche Roman Ken Folletts spiegelt sein Verständnis des Umbruchs in Europa vom Faschismus zum Kalten Krieg wieder. Der Leser trifft auf ein komplexes Geflecht handelnder Personen, deren persönliche Beziehungsgeschichte ihm bereits aus dem Band »Sturz der Titanen« bekannt ist, dessen Kenntnis im zweiten Band »Winter der Welt« aber nicht zwingenderweise vorausgesetzt wird. Die Zeitspanne der Jahre 1933-49 beschreibt den mittleren Teil von Ken Folletts Jahrhundertsaga. Eindrücklich wird der Terror des deutschen Faschismus dargestellt. Der Abgeordnete Walter von Ulrich hat ein britisches Internat durchlaufen. Seine britische Frau Maud wurde von ihrer adligen Familie ausgestoßen. Bereits im ersten Weltkrieg waren sie Außenseiter. Für ihre demokratische und unkonventionelle Haltung gibt es im Faschismus keine Chance, sie scheitern an ihrer Aufrichtigkeit. Doch die nächste Generation ist noch viel stärker den Einflüssen der Zeit ausgesetzt. Sohn Erik nimmt die Phrasen der Faschisten lange ernst. Seine Schwester begreift die Verlogenheit des Faschismus schon früher.

Ken Follett bemüht sich, die Gründe für die Entstehung des Kalten Kriegs darzustellen. Er verfängt sich dabei nicht in einer Gleichsetzung des Kommunismus mit dem Faschismus. Die Ungesetzlichkeiten des Stalinismus, der große Terror der Jahre 1936/38, die Furcht vor Angriffen auf die sozialistischen Ziele werden angedeutet und in der Beziehung der Familie Peschkow verständlich gemacht. Wladimir Peschkows Vater war ein Held der Oktoberrevolution, Wladimir ist überzeugt von der Richtigkeit seiner Sache und wählt die für ihn überzeugendste Form, zum Aufbau seines Landes und der neuen Gesellschaft beizutragen: die Arbeit für den militärischen Nachrichtendienst. Er wird konfrontiert mit abstoßenden Vorgehensweisen der Geheimpolizei und durchlebt quälende Zweifel. Follett urteilt nicht, aber seine Auffassung fließt in das Handeln der dargestellten Personen ein. Auch in die Schilderung der Zurückhaltung einflussreicher Kräfte in den USA vor dem Kriegseintritt und ihrem Hinauszögern der zweiten Front in Europa.