Und bauet der Freiheit Haus

geschrieben von U. Schneider

5. September 2013

Konferenz zum 60. Jahrestag der Hessischen Landesverfassung

Jan.-Feb. 2007

Seit Oktober vergangenen Jahres feiern Roland Koch und die hessische Landesregierung unter dem Motto „Geschenkte Freiheit“ die Gründung und Konstituierung des Landes Hessen vor 60 Jahren. Geschaffen durch eine Proklamation der amerikanischen Militäradministration vom 19. September 1945, mit der das Land Hessen aus vormals selbstständigen Teil zur Verwaltungseinheit „Groß-Hessen“ zusammengeführt wurde, endet dieser Prozess mit der Volksabstimmung über die neue Landesverfassung am 1. Dezember 1946.

Das Jubiläum des letzten Datums nimmt die Landesregierung zum Anlass, den Vorabend mit einem „Großen Zapfenstreich“ in Wiesbaden einzuläuten. Es ficht diese Regierung auch nicht an, dass gerade die Hessische Landesverfassung einen antimilitaristischen Auftrag hat, wie Bodo Ramelow zur Eröffnung einer politischen Tagung der Fraktion „DIE LINKE“ am 25. November in Frankfurt/Main betonte. Er appellierte an die etwa 200 Teilnehmenden: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Roland Koch die Verfassung mit Militärmusik erschlägt.“

Getragen von Gewerkschaften, verschiedenen Parteien sowie Organisationen der demokratischen, antifaschistischen und Friedensbewegung setzten die Veranstalter und Referenten unter dem Titel „… und bauet der Freiheit Haus“ „60 Jahre Hessische Verfassung“ ein demokratisches Gegensignal gegen das offizielle Geschichtsbild der Landesregierung.

Nachdem Bodo Ramelow die politischen Rahmenbedingungen zwischen antifaschistischem Neuanfang und Restauration nachgezeichnet hatte, erinnerten vier Experten in einem moderierten Gespräch an die Vorgänge um die Entstehung der hessischen Verfassung und an Persönlichkeiten, wie Leo Bauer, Walter Fisch, Oskar Müller, Elisabeth Selbert und Lore Wolf, die ihren ganz spezifischen Beitrag zur Ausformulierung der Verfassung geleistet hatten. Eingeleitet hatte dieses Gespräch Dr. Luc Jochimsen mit einem autobiographisch geprägten Rückblick auf die Bedeutung der Verfassung für ihre Familie.

Unter der Überschrift „Der hessische Verfassungskompromiss“ warf Prof. Fisahn (Uni Bielefeld) einen juristischen Blick auf die Geschichte, Gegenwart und Zukunft zentraler Verfassungsgrundsätze in wirtschaftlicher (Recht auf Arbeit, Verbot wirtschaftlichen Machtmissbrauchs) und gesellschaftspolitischer Dimension (Recht auf unentgeltliche Bildung, einheitliche Sozialversicherung für alle Bürger). Er schlug den Bogen bis zur – bislang gescheiterten – EU-Verfassung und machte deutlich, welch unterschiedliche Gesellschaftsmodelle diesen Regelungen zugrunde liegen. Das Publikum erlebte hier, wie anschaulich und wirksam für die politische Praxis selbst juristische Vorlesungen sein können.

In sieben Arbeitsgesprächen wurden anschließend verschiedene Artikel der Landesverfassung vom Sozialisierungsartikel (Art. 41), dem Friedensgebot (Art. 69), den Regelungen zur Bildungspolitik (Art. 59) bis zum Faschismusverbot (Art. 158) auf ihre Entstehung und ihre Aktualität hin untersucht. Die Ergebnisse dieser Arbeitsforen bildeten die Kernthesen einer Podiumsdebatte zwischen Landtagsabgeordneten der SPD, Bündnis 90/ Grüne, dem Landesbezirksvorsitzenden des DGB und Vertretern der LINKEN und der WASG. Diese Runde stand unter dem Titel „Ein anderes Hessen ist möglich!“ Bei aller Übereinstimmung wurde doch deutlich, wie weit sich GRÜNE und SPD von den politischen Optionen, die diese Verfassung enthält, entfernt haben. So kritisierte der DGB-Vorsitzende Stefan Körzell die Befürworter der vorerst gescheiterten Reform der hessischen Verfassung und warf ihnen vor, die sozialen Bestimmungen der Verfassung reihenweise über Bord zu werfen.

Dieses gebündelte Programm mit Reden und Gesprächsrunden wurde aufgelockert und inhaltlich ergänzt durch Erich Schaffner mit Begleiter, der durch Lieder und Rezitationen die demokratischen Traditionen von Georg Büchner bis in die Gegenwart lebendig werden ließ.

Diese Veranstaltung hat zum rechten Zeitpunkt noch einmal den antifaschistischen Gehalt der Verfassung in das Zentrum der politischen Debatte gerückt hat.