Unterm ungetrübten Himmel

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Plädoyer für eine Erinnerungsstätte an die Opfer des Kalten
Krieges

März-April 2013

Selbstkritik weiter gefragt

»(…) inzwischen wird auch über die Aufarbeitung der problematischen politischen Justiz nachgedacht, die unter maßgeblicher Beteiligung ehemaliger NS-Juristen in den Jahren 1949 bis 1968 schwerpunktmäßig gerade auch in Niedersachsen geübt worden ist (…) Wenn der demokratische Rechtsstaat Selbstkritik aushält, wird es auch zu diesem Thema eine Wanderausstellung und Informationen darüber geben, was in der Frühzeit der Bundesrepublik unter dem scheinbar ungetrübten Himmel des Rechtsstaats möglich war.«

(Oberlandesgerichtsrat a.d. Helmut Kramer, Forum Zeitgeschichte)

»Weißer Fleck Wolfenbüttel« war in Beitrag in unserer Januar/Februar-Ausgabe 2009 überschrieben, in dem es um die Geschichte der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel (Niedersachsen) ging. Ein Ort mit doppelter Vergangenheit. Hier wurden zwischen dem 23. September 1937 und dem 15. März 1945 mindestens 600 Menschen, darunter belgische, französische und deutsche Widerstandskämpfer, Juden, Sinti und Roma und andere »Volksschädlinge« durch den Strang oder die Guillotine hingerichtet. (In neueren Recherchen wird von 2000 Opfern gesprochen.)

In der Einleitung der damals zur Diskussion stehenden Gedenkstättenkonzeption des Bundes, wird die »Geschichte der DDR und der SBZ« als »Teil der gesamtdeutschen Geschichte« bezeichnet und postuliert, dass dies »auch als solche erkennbar sein« müsse. Auch »die westdeutschen Länder« seien deshalb aufgefordert, »ihren Teil zur Bewältigung dieser gesamtdeutschen Aufgabe zu leisten.« Nimmt man den Auftrag ernst, kann die Geschichte der Alt-BRD nicht losgelöst von dieser gesamtdeutschen Sicht betrachtet werden. Was auch die nun gesamtdeutsche »Gedenkstättenlandschaft« betrifft. Und da gibt es auch im Jahre 2013 immer noch diese »weißen Flecke«: Das heißt: es gibt keinen Ort, an dem an die Opfer der Politischen Justiz der BRD in den Nachkriegsjahren erinnert wird.

Solche Orte aber gibt es in jedem der alten Bundesländer. Wie in antifa Jan./Feb. 2013 berichtet, hat der Bundesausschuss der VVN-BdA im November letzten Jahres beschlossen, die Forderung nach Schaffung einer Gedenkstätte für diese Opfer des Kalten Krieges zu unterstützen. Deren Schicksal ist weitgehend unbekannt. Zu den Befürwortern zählen Landesverbände der VVN-BdA, die »Initiative für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges« (IROK) und die im letzten Jahre gebildete Gruppe »Kinder des Widerstandes«. In dieser Gruppe haben sich Kinder deutscher Antifaschisten zusammengeschlossen, die in den Nachkriegsjahren in Westdeutschland wieder verfolgt wurden und denen darum die Entschädigung für die oft jahrzehntelange Haft aberkannt worden ist.

Die in dem Vorschlag der Initiatoren als möglicher Erinnerungsstätte genannte JVA Wolfenbüttel bietet sich hier besonders an. Sie war in den Hochzeiten des Kalten Krieges Haftanstalt des Landes für schätzungsweise 100 Mitglieder der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Das waren Frauen und Männer, die wegen ihres aktiven Widerstandes gegen die Wiedereingliederung belasteter Exponenten des Faschismus, die Aufrüstungs- oder die Ost- und Deutschlandpolitik der Regierung von politischen Sondergerichten verurteilt worden waren

Von 1951 bis 1968 sind, was heute fast vergessen ist, in der Alt-BRD aus den genannten Gründen insgesamt an die 10 000 Verurteilungen zu Gefängnis- und Zuchthausstrafen erfolgt. »Besonders eifrig war, wie wir heute feststellen müssen, die niedersächsische Justiz, die bundesweit die Spitzenposition einnahm«, konstatierte vor zehn Jahren, am 13. Februar 2003, der damalige Landes-Justizminister Christian Pfeiffer bei einem Empfang im Gästehaus der niedersächsischen Landesregierung. Pfeiffer hatte zu diesem Treffen mit von dem, wie er sagte »paranoiden Antikommunismus« jener Jahre Betroffenen eingeladen. Dabei hatte er auf die in Niedersachsen besonders hohe Anzahl von Richtern und Staatsanwälten verwiesen, die an der Exekutierung der faschistischen Mordjustiz beteiligt waren. Nicht wenige dieser »Richter von gestern« verfolgten »mit den Staatsschutzvorschriften von gestern die als solche betrachteten Staatsfeinde von gestern«. Sie wirkten besonders an den mit »Staatsschutz« befassten Gerichten in den Oberlandesgerichtsbezirken Celle, Oldenburg und Braunschweig und der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Lüneburg.

Die Gedenkstätte dokumentiert in zwei Ausstellungen das Wirken der faschistischen Justiz und die skandalöse Durchsetzung der niedersächsischen Nachkriegsjustiz mit schwer belasteten Juristen des NS-Regimes. Nicht dokumentiert ist das Schicksaal der Nachkriegsopfer dieser Richter. Unser Kamerad August Baumgarte aus Hannover wäre als ein Beispiel zu nennen. Zwölf Jahre verbrachte er im faschistischen Deutschland in Haft. »Rückkehr unerwünscht« stand auf seinen Begleitpapieren. 1957 wurde er wegen Verstoßes gegen das KPD-Verbot von 1956 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Absitzen musste er sie an einem Ort, von dem der Justizminister sagte, dass es »gerade für diese politisch Engagierten und historisch informierten Gegner des Nationalsozialismus besonders schmerzlich gewesen sein muss: Unmittelbar gegenüber ihren Hafträumen und von den Fenstern aus gut sehen befand sich – noch im unveränderten Zustand – die ehemalige Hinrichtungsstätte der NS-Justiz. (…) Welch eine Aussicht auf die langen Schatten der Vergangenheit«.