Verbrechen in Beton gegossen

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Ein neues Buch über den Bremer Bunker »Valentin« – Nun wird
er zum »Denkort«

März-April 2011

Marc Buggeln: Bunker »Valentin«, Marinerüstung, Zwangsarbeit und Erinnerung. Reich ausgestattet mit Häftlingszeichnungen, Foto und Zeitdokumenten. Herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung Bremen. Edition Temmen 2010

Der Schlagstock, schildert André Migdahl, ist »ein geflochtenes Stahlkabel, das mit einem Gummirohr umgeben ist. Hart und zugleich flexibel. Mit variablem Durchmesser, der zwischen 15 und 20mm liegt und einer ebenfalls variablen Länge von 50 und 65 cm«.

In der Geschichte des Bunkers »Valentin«, jenem monströsen Bauwerk, das die faschistischen Machthaber trotz der 1942 erkennbaren Niederlage im von ihnen angezettelten Raub- und Eroberungskrieg im Norden Bremens in Angriff nahmen, hat mit Jahresbeginn ein neues Kapitel begonnen. 44 Jahre, bis Ende 2010, war hier die Bundeswehr Hausherr. In der Hinterlassenschaft, auf blutgetränktem Boden, hatte sie ein Material- und Nachschublager für die wieder im weltweiten Einsatz befindliche Marine unterhalten. Nun ist nach langen Bemühungen der Weg frei, an diesem Ort im Verlauf der nächsten Jahre einen Denkort, eine Stätte der Erinnerung an die Verbrechen des Naziregimes zu errichten.

Nach den Plänen des Regimes sollte hier auf einer Grundfläche von über 35.000 Quadratmetern, 426 Meter lang, bis zu 97 Metern breit und bis zu 33 Metern hoch, der Bunker »Valentin«, die flächenmäßig größte deutsche U-Boot-Produktionsstätte, entstehen. Alle 56 Stunden sollte hier in U-Boot direkt in die Weser geleitet werden. Für den »totalen Krieg«. Zur Produktion kam es nicht mehr. Beim Bau dieses Bunkers kamen in den Jahren von 1943 bis 1945 mindestens 2000 Menschen ums Leben. Geschuldet der brutalen Ausbeutung der zeitweise bis zu 12 000 Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangenen, die in eigens für den Bau errichteten Lagern untergebracht waren und Ergebnis der Misshandlungen und der kargen Ernährung. Für die nachfolgenden Generationen soll dieses gigantische Bauwerk nach den Worten des Kulturstaatsekretärs Bernd Neumann »als Symbol des Größenwahns und menschenverachtenden Ideologie« des NS-Regimes stehen. Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, sieht in der Hinterlassenschaft »die Verkörperung des Beziehungsgeflechts von Staat und Wirtschaft«.

Der Historiker Marc Buggeln macht in seiner jetzt vorgelegten Geschichte des Bunkers »Valentin« dieses Beziehungsgeflecht und das Ausmaß der Brutalität deutlich, mit der der Bunkerbau vorangetrieben wurde. Detailliert schildert er in vier Kapiteln die Militarisierung der Region in der »idyllischen Flussregion« im Bremer Norden, den Bau des Bunkers, das bewegende Schicksal der Zwangsarbeiter und die so zögerliche Bremer Erinnerung nach 1945. Was diese Veröffentlichung neben der Fülle der zum Teil neuen Fakten über den »Koloss von Farge« hinaus so wichtig für die künftige »Arbeit« an dieser Stätte macht, sind die in die Chronik aufgenommenen detaillierten Schilderungen von Biographien der Zwangsarbeiter, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge, die in den letzten Kriegesjahren aus fast ganz Europa für die faschistische Kriegsmaschinerie unter der Knute von SS, Gestapo und Wehrmacht arbeiten mussten.

Einem von ihnen, dem Franzosen André Migdahl hat Buggel hat sein Buch gewidmet. Seine Schilderung steht für viele andere. André Migdahl war mit 17 Jahren wegen seines Widerstandes gegen die deutsche Besatzung im Januar 1941 in Paris verhaftet und nach drei Jahren Haft in französischen Gefängnissen und Lagern im Sommer 1944 als »Politischer« ins KZ Neuengamme und von dort in das Außenlager Bremen-Osterort zur Zwangsarbeit beim Bunkerbau deportiert worden. Wegen »unentschuldigter Entfernung« vom Arbeitsplatz wurde er zu 25 Stockschlägen verurteilt. »Der erste Schlag kam kraftvoll und genau« erinnert sich André Migdahl. »Ich spürte ein heftiges Brennen. Ich sah die Füße des Kapo, der die Fersen anhob jedes Mal, wenn er zu einem neuen Schlag ausholte. Meine Schmerzen waren fürchterlich, Sie breiteten sich über meinen ganzen Organismus aus. Bis zum zehnten Schlag hatte ich mein Stöhnen unterdrücken können. …( Als meine Schuld beglichen war, drehte sich mir alles im Kopf. Fieber hatte plötzlich meinen ganzen Körper ergriffen. Meine Beine trugen mich nicht mehr. Ich fühlte mich versetzt in ein Land, das aus Sternen und schwarzen Löchern bestand. Wie ich aus der Baracke herausgekommen bin, bleibt ein Geheimnis.«

»Der Bunker ist ein in Beton gegossenes Verbrechen«, so Herbert Wulfekuhl, Leiter der Bremer Landeszentrale für politische Bildung, bei der Präsentation des Buches. Die Bremer VVN-BdA sieht darum auch den entstehenden »Denkort« als Symbol der Niederlage des faschistischen Regimes und ständige Erinnerung an dessen Verbrechen.