Vergessener Widerstand

geschrieben von Reiner Zilkenat

5. September 2013

Ein Sammelband präsentiert neue Erkenntnisse zu einem unmodernen
Thema

Nov.-Dez. 2012

Hans Coppi, Stefan Heinz (Hrsg.): Der vergessene Widerstand der Arbeiter. Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten, Anarchisten und Zwangsarbeiter, Karl Dietz Verlag, Berlin 2012, 384 Seiten, 24.90 Euro.

Rudolf Küstermeier (1903-1977) Redakteur des Roten Stoßtrupps, November 1933 festgenommen, bis 1945: Zuchthaus Luckau, Brandenburg-Görden, Sonnenburg, Arbeitserziehungslager Großbeeren, KZ Sachsenhausen, Bergen-Belsen

Zur Geschichte des antifaschistischen Widerstandes scheint alles Wesentliche gesagt worden zu sein. Mittlerweile füllen Monographien zu dieser Thematik ganze Bibliotheken. Doch ein von Hans Coppi und Stefan Heinz herausgegebener Sammelband zum »vergessenen Widerstand der Arbeiter« verdeutlicht, dass vornehmlich aus »geschichtspolitischen« Gründen nach wie vor große Forschungsdesiderate existieren. Worum geht es?

Der 2011 verstorbene Leipziger Historiker Werner Bramke bringt es in seinem Beitrag auf den Punkt: »Das Hauptinteresse gilt der Förderung des Erinnerns an Terror und Widerstand in der DDR, was sich auch an der materiellen Förderung ablesen lässt.« (S. 300)

Umso erfreulicher ist es, dass mit dem vorliegenden Band Forschungsergebnisse von Historikerinnen und Historikern aus unterschiedlichen Generationen, aus »alten« und »neuen« Bundesländern präsentiert werden, die den Umfang aber auch die politisch-weltanschauliche Differenziertheit des Arbeiterwiderstandes verdeutlichen.

Dabei kristallisieren sich viele neue Forschungsergebnisse heraus.

So wird z.B. angemessen der Widerstand gewürdigt, der nicht von Mitgliedern der »großen Organisationen« der Arbeiterbewegung, also von der KPD, der SPD und den Freien Gewerkschaften, seinen Ausgang nahm. Mehrere Autoren nehmen Widerstandsgruppen in den Fokus, die wegen ihres geringen politischen Einflusses in der Weimarer Republik bislang nur wenig beachtet worden sind. Der Beitrag von Knut Berghauer über Trotzkisten im Widerstand, dargestellt am Beispiel des Ehepaars Walter und Hanna Herz, demonstriert, dass auch hier überregionale Netzwerke entstanden und die Verfolgungsapparate des Faschismus große Mühe hatten, die entsprechenden Aktivitäten aufzudecken.

Besonders beeindruckend ist die von Robert Kain verfasste biographische Skizze über Otto Weidt, der in seiner in Berlin-Mitte gelegenen »Blindenwerkstatt« jüdische Arbeitskräfte vor dem Zugriff der Gestapo retten konnte. Einen erheblichen Neuwert hat die Studie von Dennis Egginger über den »Roten Stoßtrupp«. Hier kann durch eine umfassende Auswertung der archivarischen Überlieferungen präziser, als es bisher möglich war, die Verbreitung dieser vor allem von oppositionellen Sozialdemokraten gebildeten Organisation sowie die Anzahl und Auflagen der von ihr verbreiteten Schriften nachgezeichnet werden. Der Beitrag von Stefan Heinz belegt, dass der Einheitsverband der Metallarbeiter Berlins, eine der »revolutionären« Gewerkschaftsgründungen der KPD, nach der Machtübertragung an die Nazis weitgefächerte Aktivitäten besonders in den Großbetrieben entfaltete, an denen anfangs Hunderte seiner Mitglieder einbezogen waren. So gelingt zunächst die Überführung der Organisation in die Illegalität und ihre Anpassung an die neuen Kampfbedingungen. Den Widerstand der ausländischen Zwangsarbeiter untersucht Cord Pagenstecher. Etwa 25 Prozent der in der Berliner Kriegswirtschaft tätigen Arbeitskräfte waren ausländischer Herkunft, lebten oft unter elenden Bedingungen, aus denen sie aber immer wieder – im wortwörtlichen Sinne – ausbrachen. Annette Neumann und Bärbel Schindler-Saefkow untersuchen den Widerstand der Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation von 1942 bis 1945. Dabei analysieren sie das über viele Regionen geknüpfte Netz dieser bedeutenden Widerstandsgruppe, veranschaulichen die zu anderen Oppositionellen angebahnten Kontakte und kommen zu dem Schluss, dass der Frauenanteil der Organisation bei 25 Prozent gelegen habe. Sie hätten einen eigenständigen Anteil an den Aktivitäten dieser Gruppe gehabt, der sich nicht auf »einfache« Tätigkeiten reduzieren lasse, um den »eigentlichen« Widerstand der Männer zu unterstützen.

Nicht alle Beiträge des Sammelbandes können an dieser Stelle genannt, geschweige denn referiert werden. Erwähnt seien aber die Studien von Marion Goers über den Widerstand von Mitgliedern des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes in Berlin und von Hans-Rainer Sandvoß über den Widerstand Berliner Sozialdemokraten in der damaligen Reichshauptstadt in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, sowie Sven Schneiders Aufsatz über Erich Wollenberg, einen kritischen Kommunisten, der als aktiver Widerstandskämpfer in die Mühlen des Stalinschen »Großen Terrors« geriet.

In seiner Einleitung schreibt Hans Coppi völlig zutreffend, dass an Universitäten und Fachhochschulen dieses wichtige Thema des Arbeiterwiderstandes nicht mehr in Lehre und Forschung verankert sei. Mehr noch: Die Arbeiterbewegung als die größte und bedeutendste Emanzipationsbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts ist ein randständiger Untersuchungsgegenstand geworden. Auch aus diesen Gründen ist die Publikation der in diesem Sammelband vereinten Forschungsergebnisse überaus begrüßenswert.