Verschleppte Verfahren

geschrieben von Ulrich Sander

5. September 2013

Fortschritte bei der Verfolgung deutscher NS Kriegsverbrecher in
Italien

Sept.-Okt. 2006

Zu den Kriegsverbrechen Deutscher in Italien gehört auch das Massaker an 335 Zivilisten in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom. Anwohner der Via Rasella werden aus ihren Häusern getrieben und gemeinsam mit zufällig vorbeikommenen Passanten vor dem Palazzo Barberini zusammengetrieben.

Mitte der 1990er Jahre wurde bei der Militärstaatsanwaltschaft in Rom ein Bestand alter Vorermittlungsakten von deutschen Kriegsverbrechen in Italien im so genannten „Schrank der Schande“ entdeckt. Auf Grund dieser Akten verurteilte das Militärgericht in La Spezia im Juni 2005 zehn ehemalige SS-Angehörige in Abwesenheit wegen vorsätzlichen Mordes zu lebenslanger Haft. Sie gehörten zur 16. SS-Panzergrenadier-Division „Reichsführer SS“ und sind verantwortlich für das Massaker in dem toskanischen Dorf Sant’Anna di Stazzema, wo am 12. August 1944 560 Menschen ermordet wurden. Die Überlebenden von Sant’Anna wollen erreichen, dass die verantwortlichen Massenmörder endlich auch in Deutschland verurteilt werden. Sie haben eine anwaltliche Vertretung in Deutschland, die als Nebenkläger auftreten will. Um das deutsche Schweigen über diese Kriegsverbrecher zu beenden, führten im Mai dieses Jahres Antifaschisten in neun deutschen Städten Kundgebungen vor den Wohnungen der Beschuldigten durch. Es handelt sich um Werner Bruß (Hamburg), Alfred Mathias Concina (Freiberg, Sachsen), Ludwig Göring (Karlsbad, Baden-Württemberg), Karl Gropler (Wollin, Brandenburg), Georg Rauch (Rümmingen, Baden-Württemberg), Horst Richter (Krefeld), Heinrich Schendel (Ortenberg, Hessen), Alfred Schöneberg (Düsseldorf) und Gerhard Sommer (Hamburg).

Anfang Februar 2006 wurde vor dem Militärgericht La Spezia die Eröffnung eines weiteren Mordverfahrens beantragt. Es richtet sich ebenfalls gegen ehemalige Angehörige der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“. Die in Deutschland lebenden Angeklagten stehen unter Verdacht, im Herbst 1944 im italienischen Marzabotto und den umliegenden Ortschaften mehr als 900 Zivilisten massakriert und ermordet zu haben. Gegen einen 84-jährigen ehemaligen Soldaten der Fallschirm-Panzer-Division „Hermann Göring“, der im Raum Tübingen lebt, hat die Staatsanwaltschaft Stutt­gart Ende Januar 2006 Anklage erhoben. Ihm wird vorgeworfen, am 19. Juni 1944 an der Ermordung von etwa 20 Menschen des Ortes Civitella beteiligt gewesen zu sein. Die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Tübingen muss nun entscheiden, ob ein Verfahren eröffnet wird.

Gegen den ehemaligen Wehrmachtsoffizier des 274. Infanterieregiments, Klaus Konrad, ist in Italien seit 2004 ein Ermittlungsverfahren wegen eines Massakers in San Polo bei Arezzo in der Toskana anhängig. Der 92-jährige Biedermann aus Schleswig-Holstein, der von 1969 bis 1980 für die SPD im Bundestag saß, leugnet bis heute Schuld und Verantwortung an der Ermordung von 48 italienischen Männern.

Die bei der Dortmunder Staatsanwaltschaft befindliche Zentralstelle NRW für die Bearbeitung von NS-Massenverbrechen ermittelt gegen Heinrich Nordhorn aus Greven im Münsterland, während des Zweiten Weltkrieges Angehöriger der „Schweren Heeres-Panzerjägerabteilung 525“. Vor der Militärstaatsanwaltschaft La Spezia läuft das Verfahren seit dem 19. April 2006 in Abwesenheit des Angeklagten. Nordhorn wird vorgeworfen, im September 1944 an der Erhängung von zehn Zivilisten, die im Gefängnis Forli einsaßen, beteiligt gewesen zu sein.

Die an den Recherchen über die Verbrechen beteiligten Gruppen deutscher Antifaschisten stellen fest: Die Anstrengungen, die von der deutschen Justiz gegen überlebende mutmaßliche deutsche Kriegsverbrecher unternommen werden, entsprechen weder in Tempo noch Intensität den Notwendigkeiten angesichts der vorgeschrittenen Zeit und der Bedeutung für die Bearbeitung der deutschen Vergangenheit.