Was wollen wir trinken?

geschrieben von Uwe Hiksch

5. September 2013

Rechte Liedermacher okkupieren linke Traditionen

Nov.-Dez. 2007

Auf Veranstaltungen der NPD kann man heute Lieder wie »Die Gedanken sind frei«, »Trotz alledem«, »Was wollen wir trinken« oder »Wehrt euch« hören. Frank Rennicke etwa trägt sie original oder mit leichten Veränderungen vor und stellt sie in einen nationalistischen Kontext. Auch Lieder wie »Andre die dies Land so sehr nicht liebten« nach dem Text des jüdischen Schriftstellers Theodor Kramer, das ursprünglich von Zupfgeigenhansel gesungen wurde, oder »Ein stolzes Schiff«, sowie die »Ballade vom Hexenhammer« von Walter Moßmann gehören inzwischen zum Standardrepertoire rechter Sänger.

Diese Form der Uminterpretation fortschrittlichen Liedguts geht vor allem auf Barden wie Frank Rennicke, Jörg Hähnel oder Annett Moeck zurück. Neben traditionellen Liedern der Wehrmacht und des 3. Reiches, sowie neuen Liedern gegen Ausländer und Asylsuchende oder fremde Lebensstile versuchen diese rechten Liedermacher zunehmend, eine Art »völkischer Folklore« zu erschaffen und bekannte Lieder und »Gassenhauer« für sich zu reklamieren. Sie wollen sich mit einem Nimbus des Widerständigen und Aufrührerischen umgeben, um auf der emotionalen Schiene ihre Botschaften an breitere gesellschaftliche Schichten herantragen zu können.

Es handelt sich hierbei um ein Phänomen, das keineswegs nur in der Musik zu finden ist. Rechte Theoretiker versuchen seit vielen Jahren, an Gedanken und Kultur von Ökologiebewegung, Anti-Atom-Bewegung und Friedensbewegung anzuknüpfen. Genauso beteiligen sie sich an esoterischen, anthroposophischen und freiwirtschaftlichen Diskursen. Historische Lieder, vor allem des 19. Jahrhunderts, bieten rechten Sängern kulturelle Anknüpfungspunkte. Kulturelle Aspekte werden hier als strategischer Ansatz im Sinne einer »kulturellen Hegemonie von rechts« verstanden. Eben dieser Ansatz führte auch zu einer Veränderung der Modestile eines Teils des rechten Milieus. Mit Modelabels wie »Thor Steinar«, »Consdaple«, »Troublemaker« oder »Masterrace Europe« hat sich in der Neuen Rechten eine tragbare, jugendgerechte Mode etabliert. Was vor einigen Jahren noch undenkbar schien: Palästinensertuch, Che-Guevara-Shirt und Kapuzenpulli gehören heute zum Bild beinahe jeder Nazidemo.

Auch wenn es uns nicht gefällt: Die historischen Volksbewegungen, auf die sich die politische Linke beruft, wurden schon in den faschistischen Bewegungen der 20er-Jahre als Teil der eigenen Tradition wahrgenommen: So wurde Florian Geyer von ihnen als Held der Deutschen im Kampf gegen Fremdherrschaft gefeiert. Dieser Fehlinterpretation von historischen Traditionen stellt sich die antifaschistische Linke viel zu wenig. Gerade die Freiheitskriege der Vergangenheit, von der Bundschuh-Bewegung über die Bauernkriege bis zur 48er-Revolution bieten Ansatzpunkte für völkische Interpretationen. Von den Rechten werden die emanzipatorischen und zum Teil sogar internationalistischen Aspekte dieser Bewegungen bewusst ausgeklammert. Schon in der 48er-Revolution waren den National-Liberalen Macht und Einheit Deutschlands wichtiger als die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger. Denktraditionen, die bis heute weiter wirken.

Zurück zur Liedkultur. Bereits in den 20er-Jahren wurden linke Lieder zu rechten Balladen umgedichtet: Aus dem alten Arbeiterlied »Brüder zur Sonne zur Freiheit« wurde »Brüder in Zechen und Gruben«, »Roter Wedding« oder die »Internationale« wurden zu »Brauner Wedding« und »Nationale«. Die Strategie ist so alt ist wie der Faschismus selbst: Mit einer Art »Brauner Gegenkultur« sollen Lieder und kulturelle Bereiche besetzt und für die rechte Sache nutzbar gemacht werden. Gleichzeitig will man so der politischen Linken Teile ihres tradierten Kulturgutes nehmen.

Gegenwärtig erscheint das Auftreten der Protagonisten der Neuen Rechten als ein Mix aus sehr unterschiedlichen Stilen und kulturellen Ausrichtungen. Ihre Liedermacherszene versucht einen Spagat zwischen Plagiat und neuer Interpretation historischen Materials. Dabei werden tradierte Auslegungen in Frage gestellt. Soziale Kämpfe deuten sie um in nationale Befreiungskämpfe. Dem Versuch, in der Vergangenheit fest in das Kulturrepertoire der politischen Linken integrierte Musik zu okkupieren, muss die Linke etwas entgegensetzten. Heute wie damals gibt es dafür nur einen Weg: Aufklärung, Aufklärung und noch einmal Aufklärung.