Wem dient dieses Konzept?

geschrieben von Adam König

5. September 2013

Verheerende Folgen für das Geschichtsbewusstsein werden in Kauf
genommen

Jan.-Feb. 2008

Die Besucher des Staatlichen Museums Auschwitz wurden schon vor Jahren mit einem deutlich sichtbaren Leitsatz konfrontiert, der sinngemäß lautete: Wer die Geschichte verdrängt, kann gezwungen sein, sie noch einmal wiederholen zu müssen!

In vielen Gesprächen mit Jugendgruppen in Vor- oder Nachbereitung von Gedenkstättenbesuchen habe ich diesen Gedanken oft an den Anfang gestellt – und zwar als Frage formuliert – nach dem Für und Wider dessen, was damit zum Ausdruck gebracht werden soll. In der Regel kamen wir gemeinsam zu dem Ergebnis: Die heutigen politischen, kulturellen und geistigen Gegebenheiten sind nur zu erfassen, wenn wir wissen, wie sie entstanden sind, welche Ursachen zu ihrer Entstehung geführt haben. Natürlich gilt das nicht nur für die Zeit des Hitlerfaschismus, sondern generell. So auch für die Geschichte des ehemaligen KZ Sachsenhausen und die Zeit nach seiner Befreiung im April 1945.

Von 1945 bis 1950 existierte dort bekanntlich auf der Grundlage alliierter Beschlüsse ein Internierungslager für NS-Täter, »Speziallager« genannt. Es handelt sich um eine zweite Geschichte an diesem geschichtsträchtigen Ort, die vor allem deshalb stattfand, weil Nazideutschland 1941 die Sowjetunion überfallen hat, das Land in einem Vernichtungskrieg verwüstete und unbeschreibliches Leid anrichtete. Er kostete geschätzte 27 Millionen Sowjetbürger das Leben, darunter Millionen massakrierter Juden, ermordeter Kriegsgefangener (auch im KZ Sachsenhausen) und Zivilisten aus den besetzten Gebieten.

Natürlich soll auch die Periode von 1945 bis 1950 in der Geschichte des historischen Ortes dokumentiert und aufgearbeitet werden. Dazu gehört auch die Tatsache, dass es unter den im Speziallager Inhaftierten Menschen gab, die keine Täter waren, die denunziert worden waren, ohne Überprüfung festgehalten wurden, usw. Dies alles aber unter der Berücksichtigung der unmittelbaren Nachkriegszeit, in der zwar die Kampfhandlungen beendet waren, aber ein Friedensvertrag noch nicht existierte.

Wenn heute auf der Grundlage der so genannten »Totalitarismusthese« die Geschehnisse in den Speziallagern mit den NS-Konzentrationslagern gleichgestellt, die Ereignisse aus ihrem historischen Zusammenhang gerissen werden, dann ist dies eine offensichtliche Geschichtsklitterung. Noch dazu, wenn, wie in der »Fortschreibung der Bundesgedenkstättenkonzeption vom 22. Juni 2007« (genau 66 Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion) vorgeschlagen, die Gewichtung von Erinnerung und Gedenken in den KZ-Gedenkstätten auf die Periode nach 1945 verlagert werden soll. Das würde verheerende Folgen für das Geschichtsbewusstsein nachwachsender Generationen haben!

Angesichts zunehmender rechtsextremistischer Aktivitäten und Gewalttaten fragen Jugendliche oft: Was können wir denn selbst tun, um dem Einhalt zu gebieten?

Die Überlegungen zu denen wir in Diskussionen über diese Frage kommen, münden oft in der Erkenntnis, dass man sich in Organisationen und Verbänden engagieren muss, die zu einer Stärkung des demokratischen Elements unserer Gesellschaft beitragen. In den Gedenkstätten und Gedenkorten ist ein solches Engagement bisher in verschiedenen Formen möglich. Doch auch in dieser Hinsicht -bezogen auf bürgerschaftliches Engagement – sind die Empfehlungen zur Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption alles andere als ermutigend. Im Gegenteil: Die bisher vorhandenen Möglichkeiten sollen radikal zusammengestrichen werden.

Wir Überlebende des faschistischen Terrors werden uns deshalb mit der Autorität unserer internationalen Organisationen gegen den geplanten Paradigmenwechsel in der Gedenkstättenpolitik der Bundesrepublik Deutschland zur Wehr setzen.