Widerstehen und versöhnen

geschrieben von Heinrich Fink

5. September 2013

Zum Tod von Franz von Hammerstein

Sept.-Okt. 2011

Der Theologe Franz von Hammerstein, der sich seit 1945 unermüdlich als antifaschistischer Zeitzeuge eingemischt hat, um auch zwischen »Gegnern« Verstehen, Widerstehen und Versöhnen zu ermöglichen, ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Alle, die ihm begegneten, wissen, dass sein weltweit wirksam gewordenes Engagement erst recht im wiedervereinten Deutschland unentbehrlich bleibt.

Schon als Zwölfjähriger begegnete er am 3. Februar 1933 dem neu ernannten Reichskanzler Hitler auf dessen Weg in die Diensträume seines Vaters, Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord, der damals Befehlshaber der Reichswehr war. Unverbrämt offenbarte Hitler den anwesenden hohen Militärs seine Kriegsziele: Ausrottung des Marxismus, Eroberung neuen Lebensraumes im Osten und konsequente Germanisierung. Später musste Franz von Hammerstein oft die Frage beantworten, wie diese von seiner Schwester heimlich mitstenografierte Rede Hitlers damals nach Moskau gelangte. »Meine acht Jahre ältere Schwester war im kommunistischen Studentenbund. Ihre Idee war, Stalin vor den Plänen Hitlers zu warnen, denn es ging ja um Lebensraum im Osten und um die sogenannte jüdisch-kommunistische Weltgefahr. Man dachte damals noch, Stalin wäre menschlicher und würde sich warnen lassen …«

Nur zwei der damals Anwesenden waren von Hitler nachhaltig schockiert: Ludwig Beck, später führend in der Militäropposition, und der Gastgeber, der schon seit Monaten vor Hitler gewarnt hatte. Er reichte prompt seinen Rücktritt ein. Hans Magnus Enzensberger nannte seine 2008 bei Suhrkamp verlegte Familiengeschichte des Adelsgeschlechts »Hammerstein oder der Eigensinn«. Da heißt es: »Mich alten Soldaten haben diese Leute zum Antimilitaristen gemacht.« Kurt von Hammerstein war später mit zwei seiner Söhne in die Umsturzpläne gegen Hitler involviert, starb aber bereits 1943. Die Söhne konnten nach dem 20. Juli 1944 untergetaucht überleben. Franz von Hammerstein, seine Mutter und die jüngste Schwester nahm die Gestapo »in Sippenhaft« und brachte sie in ein Sonderlager im KZ Buchenwald.

Am 3. April 1945 wurden sie nach Regensburg transportiert und trafen Dietrich Bonhoeffer, der ins KZ Flossenbürg gebracht wurde, während die anderen ins KZ Dachau kamen. Am 26. April war für von Hammerstein, Goerdeler und andere Sippenhäftlinge kein Platz mehr im überfüllten Bus. Sie wurden »nur« auf einen entlegenen Bauernhof gesperrt, tags darauf waren amerikanische Soldaten das Signal ihrer Befreiung. Erst Wochen später erfuhr von Hammerstein, dass seine Mutter, Schwester und Brüder überlebt hatten. Er fand Zuflucht bei Martin Niemöllers Frau, die noch nicht wusste, ob ihr Mann überlebt hatte. Angesichts der lebensbedrohlichen Turbulenz und der Zerstörung Europas durch die deutsche Herrenrasse-Ideologie, entschloss er sich, Theologie zu studieren. Er ging bewusst nach Bethel, weil dort Freunde Niemöllers lehrten und Pastor Bodelschwingh dem fatalen Euthanasie-Programm öffentlich widerstanden hatte. Seine Hoffnung war, nach dem Zusammenbruch des Tausendjährigen Reiches über ideologische, konfessionelle und nationale sowie Klassengrenzen hinweg eine friedliche Welt zu gestalten.

Von 1948 bis 1950 studierte er in Chicago an der »schwarzen« Howard-Universität. Seine Promotion schrieb er über »das Messias-Problem bei Martin Buber«. Der Dialog mit dem Judentum und Antirassismus wurden seine Lebensthemen. Er heiratete die Schweizer Theologin Verena Rohrdorf, die sich mit ihm unermüdlich auch gegen Legenden und Mythen neuer deutscher Kirchengeschichte zu wehren wusste. Zurück in Westdeutschland beteiligte er sich aus seiner persönlichen Bindung an den Buchenwaldschwur von Pfarrer Poelchau, Lothar Kreyssig und Martin Niemöller am Gründungsaufruf für die Aktion Sühnezeichen: »Des zum Zeichen bitten wir die Völker, die Gewalt von uns erlitten haben, dass sie uns erlauben, mit unseren Händen und mit unseren Mitteln in ihrem Land etwas Gutes zu tun; ein Dorf, eine Siedlung, eine Kirche, ein Krankenhaus, oder was sie sonst Gemeinnütziges wollen, als Versöhnungszeichen zu errichten.« Das war geistliche Wehrdienstverweigerung im Kalten Krieg.

Im Jahre 1976 gab er das Buch »Von Vorurteilen zum Verständnis Dokumente zum jüdisch-christlichen Dialog« heraus, das in der Kirche nur wenig Echo fand. »Und ich bin heute noch der Meinung, … dass die Kirchen und Christen damals hätten sagen müssen: Wir sind alle Juden.« Auch als Direktor der Evangelischen Akademie West-Berlin ist er nie im antikommunistischen Mainstream geschwommen. Weil er die Arbeit der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft schätzte, half er, dass diese wichtige Arbeit nach dem Mauerfall fortgesetzt werden konnte.

Franz von Hammerstein ist unersetzlich, aber die junge Generation muss in der Begegnung mit den wenigen noch lebenden Zeitzeigen und aus Dokumenten erfahren können, dass eine friedliche Welt möglich ist, wenn sie gewollt ist.