»Wir nehmen Anstoß…«

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Lücken und Merkwürdigkeiten in der Regensburger
Erinnerungskultur

Nov.-Dez. 2011

Aus dem Offenen Brief:

»Die Stadt sollte an das Leiden und Sterben der Menschen im KZ Außenlager Colosseum des KZ Flossenbürg und an die Ermordeten des Todesmarsches in Würde erinnern. Die Bodenplatte tut das nicht. Eine Gedenktafel am Ort des Verbrechens gegen die Menschheit bleibt unsere Forderung.«

»Der offene Brief mehrerer Initiativen an die Regensburger Stadtspitze scheint gewirkt zu haben«, kommentiert Stefan Aigner im Internetblog »Regensburg Digital« die Beratung des städtischen Kulturausschusses, in deren Ergebnis das Ganze »auf eine breite Basis« gestellt werden soll. Die Vorlage, eine Arbeitsgruppe zu gründen, in die auch Vertreter des DGB Regensburg und des Bündnisses »Kein Platz für Neonazis« eingeladen werden sollen, stelle »eine gewisse Kehrtwende in Sachen Gedenkkultur dar«.

66 Jahre hat es gedauert, bis der Stadtrat der oberpfälzischen Bezirkshauptstadt Regensburg Ende September nach einer turbulenten Diskussion mit einem einstimmigen Beschluss die Ehrenbürgerschaft von Adolf Hitler »formal juristisch korrekt« für gelöscht erklärte. »Der Stadtrat distanziert sich von der damaligen Fehlentscheidung und verurteilt sie aufs Schärfste«, steht im Beschluss, der auch den Gauleiter der faschistischen NSDAP Adolf Wagner zu »Persona non grata« erklärt.

In den ersten Oktobertagen ging es im Alten Rathaus um ein anderes Kapitel des, wie der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Ehemaliges Konzentrationslager Flossenbürg, Hans Simon Pelanda, es einmal formulierte, »Sonderformats der Anti-Erinnerungspolitik« der Welterbestadt. Anlass der Beratung des Kulturausschusses war, wie es dabei hieß, die Tatsache, dass in Regensburg »neuerlich eine Diskussion zum Umgang mit der Gedenkkultur bezüglich der Opfer des Nationalsozialismus« entstanden sei. Warum das so ist, war in der Vorlage nicht enthalten, wohl aber wurde festgestellt, dass »Formulierungen und Inhalte mit besonderer Sorgfalt abzuwägen sind«. Es geht um das Gedenken an das einstige Außenlager des KZ Flossenbürg in Regensburg, in das die faschistischen Machthaber das damalige Wirthaus Colosseum umfunktioniert hatten. Fünf Wochen waren hier 400 Häftlinge unter unsagbaren Umständen eingepfercht. Sie mussten Bomben räumen, Bombentrichter einebnen, Bahngleise und zerstörte Waggons auseinander schweißen. Das alles bei »Wasserschnalzn mit Krautabfällen«, Prügel und ohne medizinische Versorgung. Mindestens 65 Häftlinge kamen in den Wochen vom 19. März bis 23. April 1945 um Leben. 50 überlebten den am 23. April in Gang gesetzten 300 Kilometer langen Todesmarsch.

Heute ist das ehemalige KZ eine lukrative »Wohnoase« im Besitz des CSU-Politikers Michael Durach. Das Anbringen einer Gedenktafel verweigert Durach. Das aber fordern die Initiatoren des alljährlich am Tag des Beginns des Todesmarsches stattfindenden »Gedenkweges«. Die Offiziellen der Stadt nehmen allerdings, wie auch die CSU-Prominenz, daran nicht teil. Denn: dem Bündnis gehört auch die VVN-BdA an. Die aber wird im Freistaat Bayern im Geist des dort quicklebendigen Antikommunismus vom Verfassungsschutz als »linksextremistisch« beobachtet. Also gilt auch für die Stadtoberen: Keine Gemeinsamkeit mit Kommunisten.

Für die im Bündnis »Kein Platz für Neonazis« vereinigten Organisationen wie Soziale Initiativen, DGB, Falken, VVN-BdA kein Hindernis, immer wieder zu fordern, endlich einen würdigen Ort der Erinnerung an das schaffen, was damals im Colosseum geschehen ist. Das geschah auch in diesem Jahr am 23. April. Wenige Tage später vermeldete das »Regensburger Wochenblatt«, dass »heimlich, still und leise« vor dem Colosseum eine Gedenkbodenplatte verlegt worden ist. Selbst Stadträte waren davon überrascht. Der Text (Verfasser unbekannt) löste Empörung aus. Verharmlosend wird dargestellt, hier seien »Häftlinge des KZ Flossenbürg untergebracht« worden, die vor dem Haus »zum Appell antreten« mussten.

In einem Offenen Brief forderten Mitte September vor dem Colosseum die Teilnehmer einer Kundgebung des Bündnisses »Kein Platz für Neonazis« eine Erinnerungskultur, die dem Leiden und Sterben der Menschen im KZ Außenlager Colosseum in Würde gerecht« wird. Jugendliche trugen dabei ein Transparent mit den Namen der 65 umgekommenen Häftlinge. Text und Ort der Bodenplatte würden dem Anspruch, »diesen Menschen, ihrem Leiden, ihrem Sterben, wenigstens in der Erinnerung Gerechtigkeit widerfahren zu lassen nicht gerecht« sagte die Regensburger Vorsitzende der VVN-BdA Luise Gutmann. Formulierungen wie »ehemaliges Gasthaus« und »untergebracht« weckten seltsam falsche Assoziationen. »Es ist eine Schande, dass diese Stadt bis heute den 65 Toten und den Gefangenen des Colosseums ein ehrendes Gedenken verweigert. Deshalb muss die Bodenplatte demontiert und eine Tafel mit dem ‚richtigen‘ Text am Haus angebracht werden.«