Zeitzeugen contra Klitterer

geschrieben von Hans Canjé

5. September 2013

Repräsentanten der KZ-Verbände in Brüssel: Gegen jegliche
Gleichsetzung

Jan.-Feb. 2012

Mitglieder der Delegation:

Die KZ-Überlebenden Roger Bordage, Internationales Sachsenhausen-Komitee, Annette Chalut, Internationales Ravensbrück-Komitee, Henri Goldberg, Internationales Auschwitz-Komitee, Dènes György, Internationales Bergen-Belsen-Komitee, Bertrand Herz, Internationales Buchenwald-Komitee sowie der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland und Leiter des Berliner Büros des European Jewish Congress, Stephan J. Kramer, der Vertreter des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma, Silvio Peritore, und die Generalsekretärin des Internationalen Sachsenhausen-Komitees, Sonja Reichert.

Am 11. November 2011 ist in Brüssel durch eine zweifellos sachverständige Delegation der Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Viviane Reding, und an die Abgeordneten des Europäischen Parlaments das antifaschistische »Vermächtnis des europäischen Widerstandes«»Erinnerung bewahren – authentische Orte erhalten – Verantwortung übernehmen« übergeben worden. Eindringlich der damit verbundene Appell an die EU-Politiker, »die Erinnerung an die unvergleichlichen Verbrechen des Nationalsozialismus und ihrer Helfer auch in der Zukunft zu bewahren und nicht zu verfälschen«.

Am 25. Januar 2009, am Vorabend des Jahrestages der Befreiung des faschistischen Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee waren in Berlin die Präsidentinnen und Präsidenten der internationalen Komitees, in denen die Überlebenden der deutschen Konzentrationslager organisiert sind, zusammen gekommen. Sie gedachten »der ermordeten Familien und der Millionen Opfer, die an diesen Orten der Asche getötet wurden« und übergaben, »Angesichts des Endes der Zeitzeugenschaft« ihr Vermächtnis, gerichtet vor allem an die Jugend Europas.

Bei der Übergabe hatte der am 20. Dezember. 2009 verstorbene Präsident des Internationalen Sachsenhausenkomitees Piere Gouffault eindringlich gemahnt: »(…) auch in Zukunft darf es an allen Orten zweifacher Vergangenheit keine Vermischung der historischen Phasen geben. Ursachen und Wirkungen müssen klar benannt und die Unterschiede deutlich benannt werden (…)« (siehe antifa März/April 2009)

Bei ihren Gesprächen in Brüssel wiesen die Delegationsmitglieder neuerlich alle Versuche zurück, »ein einheitliches europäisches Gedächtnis durch politische Beschlüsse von Parlamenten und Regierungen erzwingen zu wollen«. Deshalb lehnen sie die »Einführung eines übergreifenden ›Gedenktages für die Opfer aller totalitären und autoritären Diktaturen‹ entschieden ab.« Vorgeschlagen wird dagegen, dass das Europäische Parlament den 27. Januar 2012 nutzt, »um über die Entwicklung der Erinnerungskultur in Europa und über einen einheitlichen europäischen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus zu diskutieren«.

Der jüngste Vorstoß zur Klitterung der europäischen Geschichte im Sinne der Totalitarismusdoktrin erfolgte mit der Unterzeichnung der Gründungsurkunde für eine »Plattform des Europäischen Gedenkens und Gewissens« am 13./14. Oktober letzten Jahres in Prager Lichtenstein Palast im Beisein der Präsidenten der Tschechischen Republik, Ungarns und Polens. Eine Einrichtung die deutlich als eine neue und durch die Anwesenheit der drei Ministerpräsidenten mit höheren Weihen versehene Stufe bei der Formierung der Kampfgruppen zur Relativierung der faschistischen Verbrechen und damit zur Verfälschung der Geschichte konzipiert ist. Aus der Taufe gehoben wurde die »Plattform« im Prager »Institut für das Studium totalitärer Regime«, das sich durch seine militante antikommunistische Politik aus dem Kreis ähnlich gepolter Einrichtungen z.B. in Ungarn, Polen oder den baltischen Staaten heraushebt. Es hat es sich zur Aufgabe gemacht, »(…) die Kooperation nationaler Forschungsinstitute, Archive, Museen und vergleichbarer Institutionen in Europa zu unterstützen. Diese schließt neben staatlichen auch private Initiativen ein, die sich der Aufarbeitung totalitärer Regime widmen. Die besondere Betonung liegt hierbei auf Nationalsozialismus und Kommunismus.«

Das Zitat ist einer Verlautbarung des Geschäftsführers der »Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der politischen Gewaltherrschaft«, Siegfried Reiprich, entnommen. In Begleitung des Verwalters der MfS-Akten, Roland Jahn, war er nach Prag gereist und dort in das »Executive Board« der »Plattform« (neben Vertretern aus Polen, Rumänien und Slowenien) gewählt worden.

Spätestens hier wird der Kurs des Spitzengremiums deutlich, das recht bald näher an die Brüsseler Fleischtöpfe siedeln will und umfangreiches »Aufklärungsmaterial« vor allem für Schulen produzieren möchte. Die sächsische Einrichtung hat sich, daran sei hier erinnert, in den vergangenen Jahren durch ihre rabiate Linie bei der schon im Namen manifestierten Klitterung der Geschichte einen unrühmlichen Namen gemacht. Schon die Vorlage des Entwurfs zum Stiftungsgesetz hatte 2004 zu heftigen Protesten der Leiter der großen deutschen Gedenkstätten zur Erinnerung an die faschistischen Verbrechen und zum Auszug der NS-Verfolgtenverbände aus den Gremien der Stiftung geführt.