Feindbild Antifaschismus

geschrieben von Peter Christian Walther

9. September 2013

Engagement in der VVN-BdA wird vom hessischen Verfassungsschutz
beobachtet

Juli-Aug. 2013

»In Abwägung des Auskunftsrechts« von Silvia Gingold »mit dem öffentlichen Interesse der Geheimhaltung der Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz überwiegen vorliegend die Geheimhaltungsinteressen«, befindet das Verfassungsschutzamt und gibt noch eins obendrauf: »Eine weitere Begründung« für die Auskunftsverweigerung habe zu »unterbleiben, da dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung (…) gefährdet würde«.

Im November 2012 hatte sich das hessische Landesamt für Verfassungsschutz geweigert, der Antifaschistin Silvia Gingold Auskunft über sämtliche zu ihrer Person gespeicherten Daten zu geben. Darüber hinaus lehnte es ab, Rechenschaft über den Verbleib früher gespeicherter Daten zu geben.

Nachdem Silvia Gingold gegen diese Ablehnung Widerspruch eingelegt hatte, erhielt sie wiederum einen ablehnenden Bescheid. Dessen Inhalt ist allerdings mehr als aufschlussreich. Er weist auf eine geradezu blödsinnige Denkweise des Verfassungsschutzes hin.

Da wird – trotz gesetzlichen Informationsanspruchs – erklärt, man könne keine vollumfängliche Auskunft geben, weil ein »Geheimhaltungsinteresse« vorliege – über das natürlich der Verfassungsschutz selbst entscheidet. Dazu heißt es weiter: »Der grundsätzlichen Geheimhaltungsbedürftigkeit der Tätigkeit des Verfassungsschutzes und seiner Unterlagen« müsse »Rechnung getragen werden«. »Bei Offenlegung der Daten wäre zu befürchten, dass die weitere Beobachtung erheblich erschwert, in Teilbereichen sogar unmöglich gemacht würde«.

Damit bestätigt der Geheimdienst Verfassungsschutz selbst, dass Geheimdienstaktivitäten grundsätzlich geheim zu bleiben haben und demzufolge auch nicht zu kontrollieren sind. Verfassungsschutz im positiven Sinne und Geheimdienstpraktiken schließen einander aus.

Geradezu hirnrissig aber muss dem kritischen Leser die Begründung des Verfassungsschutzes für seine Spitzel-, Überwachungs- und Registrierungsmaßnahmen sowie deren propagandistische Darstellung vorkommen. Da wird Silvia Gingold eine »wesentliche Rolle« als »aktive Unterstützerin« einer »linksextremistischen Veranstaltung« zugeschrieben, weil sie – die selbst Berufsverbotsbetroffene war -, dort als Referentin über »40 Jahre Berufsverbote in der BRD« gesprochen habe. Dabei komme es gar »nicht allein auf den Inhalt des Vortrages« an (auf den ohnehin nicht eingegangen wird), »sondern zu welchem Anlass und in welchem Umfeld dieser gehalten wurde«.

Der Verfassungsschutz behauptet kurzerhand, »Gegenstand der Demonstration« (es handelte sich um die Auftaktkundgebung einer Demonstration) sei »die Verbreitung typischer Überzeugungen von Linksextremisten wie der Autonomen Szene oder der VVN-BdA« gewesen, nämlich: »Der generell geäußerte Vorwurf, dass legitimer demokratischer Protest gegen rechtsextreme Veranstaltungen ‚kriminalisiert‘ werde, entspricht der typischen Doktrin autonomer Gruppen, die die verfassungsmäßige Ordnung in Deutschland als faschistisch darstellen.« – So schreibt tatsächlich das hessische Landesamt für Verfassungsschutz.

Keine ernstzunehmende antifaschistische Gruppierung wird die verfassungsmäßige Ordnung in Deutschland als »faschistisch« darstellen. Das wäre nicht nur eine krasse politische Fehlleistung, sondern auch eine nicht hinnehmbare Verharmlosung des Faschismus. Folgerichtig kann der Verfassungsschutz dafür auch keinen Beleg nennen. Aber darauf kommt es auch nicht an. Um angeblichen »Linksextremismus« nachzuweisen, ist keine Behauptung zu dumm.

Dazu passt, dass das Landesamt für Verfassungsschutz in seinem Bescheid der Antifaschistin Silvia Gingold schließlich noch mitteilt, man habe über sie eine weitere »neue Erkenntnis« gespeichert: dass sie nämlich nach eigener Aussage (»in einem Interview der linksextremistischen Tageszeitung ‚junge welt‘ ») »für die VVN-BdA aktiv« sei. »Vor diesem Hintergrund« habe man schließlich ihrer Person zuordnen können, dass sie »eine Lesereise zusammen mit einem Funktionär der VVN-BdA im Oktober 2011 zu VVN-BdA-Veranstaltungen in Bayern« unternommen habe.

»Grund der Speicherung« sei hier »nicht die Tatsache«, dass sie »aus der Biographie ihres Vaters gelesen hat bzw. bei einer entsprechenden Lesung zugegen war, sondern dass dies im konkreten Fall ihre Aktivität für die VVN-BdA belegt«.

Schwarz auf weiß wird hier vom Verfassungsschutzamt dargelegt, womit sich dieses Amt zu beschäftigen müssen glaubt. Dann bleiben natürlich kaum noch Zeit und Raum, sich mit Neonazis und neonazistischem Terror zu befassen.

Man könnte es beim Kopfschütteln über so viel Unsinn und Fehlorientierung belassen, wenn da nicht die Folgen wären: Blödsinn, der amtlich daherkommt, kann sehr schädlich sein. Er behindert demokratisches Engagement und schafft so Freiraum für Neonazis. Es ist wirklich an der Zeit, diese Art von Verfassungsschutz abzuschaffen.