Neue Flüchtlingsdebatten

geschrieben von Axel Holz

11. September 2013

Doch Solidarität und Integration sind erlernbar

Symptomatisch für die wachsende Flüchtlingszahl ist die Berichterstattung über die Veränderungen in der arabischen Welt. Der Ruf nach mehr Demokratie und die Enttäuschung vieler über den Veränderungsprozess hat auch die Ausgrenzung von Minderheiten und Gastarbeitern in dieser Region verstärkt. Tausende überwiegend schwarze Gastarbeiter werden in den arabischen Ländern diskriminiert, haben ihre Arbeit verloren oder werden Opfer von Entführungen und Organhandel. Die dahinter stehenden Konflikte sind nicht neu, treten aber mit dem arabischen Frühling nun offen zu Tage. In Europa zeigt sich dies im Anwachsen der Füchtlingszahlen und einer erneuten Debatte über die sogenannten Drittstaatenregelung, die den Verbleib der Flüchtlinge im europäischen Ankunftsland vorsieht und eine gerechte europaweite Verteilung der Flüchtlingsaufgaben behindert.

Neben der europäischen Diskussion finden auch in zahlreichen deutschen Kommunen aktuell Debatten zum Umgang mit Flüchtlingen statt. In einigen Orten waren in den letzten Jahren nach öffentlichen und politischen Diskussionen die Bedingungen für die Unterbringung von Flüchtlingen verbessert worden. Die dezentrale Unterbringung eines Teils der Flüchtlinge, die Abschaffung sogenannter »Dschungel-Heime« abseits des gesellschaftlichen Lebens, die Aufgabe der Residenzpflicht auf Kreisebene und die Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen waren Ausdruck dieses Veränderungsprozesses.

Mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen müssen nun bereits geschlossene Flüchtlingsheime wiederbelebt oder ersetzt werden. Damit verbunden sind nicht selten aus Unkenntnis über das Schicksal der Flüchtlinge gespeiste irrationale Ängste und Ressentiments, die wiederum die NPD auf ihrer derzeitigen Info-Tour zu instrumentalisieren und verstärken sucht. Neu ist allerdings, dass sich zahlreiche Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern, in diesem Prozess nicht mehr so passiv verhalten, wie noch in den 90er Jahren. Zum Beispiel hat in Pasewalk das Bündnis »Vorpommern – weltoffen, demokratisch, bunt«, ankommende Flüchtlinge willkommen geheißen und sie zusammen mit Bewohnerinnen und Bewohnern zum Unterstützertreffen eingeladen. Das Bündnis feiert derzeit sein einjähriges Bestehen und ist ein Beispiel für das Erstarken der Zivilgesellschaft im ländlichen Raum ohne Vorgaben von oben, schätzt Neonazi-Experte Günther Hoffmann ein. Die Gewerkschafterin Gisela Ohlemacher war hier vor einem Jahr angetreten, den Nazis das »Wohlfühlklima« zu nehmen und dies scheint zunehmend zu gelingen. Das Aktionsbündnis verurteilt die aktuelle Hetztour der NPD gegen Flüchtlinge als Angriff auf Menschenrechte und solidarisches Miteinander. Auf Gegen-Veranstaltungen protestierte das Bündnis in Eggesin, Torgelow, Drögeheide, Pasewalk und Anklam friedlich und gewaltfrei gegen die absurden Parolen der Nazis im vorpommerschen Landkreis.

Auch in Brandenburg steigen die Flüchtlingszahlen. Im Oberstufenzentrum Wandlitz wurde kurzfristig für 100 neue Asylbewerber Platz gemacht. Die NPD hatte im Vorfeld mit Spekulationen über den angeblichen Verfall der Grundstückspreise die Stimmung angeheizt. Verunsicherte Einwohner diskutierten in einer Einwohnerversammlung ausführlich über die neue Flüchtlingssituation und diese Offenheit stärkte das Verantwortungsgefühl der Bürgerinnen und Bürger. Zahlreiche Einwohner begrüßten die Flüchtlinge auf einem Sommerfest und demonstrierten zusammen mit ihnen gegen den NPD-Aufmarsch. Diese Unterstützung der Barnimer Bevölkerung ist das Ergebnis eines runden Tisches der Toleranz, zu dem ein Dutzend Bürger und die Verantwortlichen vom Landkreis Barnim und der Gemeinde Wandlitz eingeladen hatten.

Doch nicht überall interessieren sich die Einwohner für das Schicksal der Flüchtlinge. In Berlin Reinickendorf verbieten Anwohner den Kindern von Asylbewerbern das Betreten eines Spielplatzes auf einem Privatgrundstück. Und sie planen mehr. Bereits früh suchten die Eigentümer juristischen Beistand gegen die Nutzung des ehemaligen Pflegeheimes als Flüchtlingsunterkunft und klagten gegen die Nutzungsgenehmigung. Vergleichbare Fälle habe es noch nicht gegeben, kommentierte ein Sprecher der Senatsbehörde. In einem anderen Fall hatten Gespräche der AWO in der Lichtenberger Rhinstraße den Anwohnern Ängste genommen. Ob dies auch in Reinickendorf gelingt, ist ungewiss. Vielerorts fehlt es noch immer an Transparenz, Kommunikation und an der Wahrnehmung zivilgesellschaftlicher Verantwortung. Nicht nur in Reinickendorf.