»Und reiß doch die Tür auf«

geschrieben von Ernst Antoni

11. September 2013

Trotz alledem stets ein Engagierter: Der Künstler Guido Zingerl

 

Er war noch keine Dreißig, der Dipl.-Ing. Heinrich Scholz am Münchner Institut für Holzforschung, als er seine Dissertation auf dem Gebiet der Holzphysik unvollendet zur Seite legte, um sich künftig freischaffend den bildenden Künsten zu widmen. Kurz danach nahm er den Künstlernamen Guido Zingerl an, wurde, auch politisch, aktiv im Umfeld der Künstlergruppe »tendenzen« und der gleichnamigen »Zeitschrift für engagierte Kunst«. 1965 ist Zingerl Initiator und Organisator von »Künstler gegen den US-Krieg in Vietnam«, einer Wanderausstellung durch die damalige Bundesrepublik.

Am 19. Januar 2013 wurde der Maler und Grafiker, Allegoriker und Bildsatiriker 80 Jahre alt. Mit einem Gedicht kommentiert er ein Bild aus seinem neuen Grafik-Zyklus, das der ersten Zingerl-Ausstellung in diesem Jahr und dem dazu erschienenen Begleitbuch den Titel gegeben hat: »Achtzig – trotz alledem und alledem«:

 

»Ich stehe vor meiner Staffelei / 100 mal 120, Höhe vor Breite / ordentlich weiß grundiert / Um mich herum Farben auf einem Tisch / 5 mal 5 mal 3 Kubikmeter Raum / 1 Fenster im elfenbeinernen Turm / Ich suche ein Gleichnis von dieser Welt / das Abbild des Schreckens / den Alptraum der Wirklichkeit / Und inmitten dieser 9 Kreise der Hölle / der Lügen und Verfluchungen / such ich / den winzigen Stein der Hoffnung / Verzweifle und verstumme zugleich / Will mich einschließen vor dieser Welt / Und reiß doch die Tür auf…«

 

Eine chronologisch-autobiographische Bilderserie: viel Schwarzweiß mit dominierendem Schwarz, Tuschzeichnungen, dazwischen farbige Acrylgemälde für wichtige Lebensstationen. Die Geburtsstadt des 1933 Geborenen (»O Du mein schönes Regensburg«), in der viel von dem Personal versammelt ist, das Zingerl-Bilder oft prägt: feiste klerikale und weltliche Herrscher, Militärs, Finanzmogule. Gerne grinsen sie. So auch der Nazi mit dem Hitlergruß, der sich, deutlich kleiner zwar, aber schon frech auf dem Sprung, im Regensburg-Bild in ihrem Windschatten aufgestellt hat. Zwischen solchen Mordsfiguren und regionalhistorischen Bezugspunkten im Gewimmel viele kleine Menschen. Leiden sie, jubeln sie, protestieren sie, begehren sie gar auf? Oft hilft da nur ganz genaues Hinschauen.

Im aktuellen »Trotz-alledem«-Zyklus viel »Abbild des Schreckens« und »Alptraum der Wirklichkeit«. Eine Ausnahme ist das eher hoffnungsvollere Blatt »1968«, auf dem die »kleinen Leute« größer geworden sind und miteinander der repressiven Phalanx entgegentreten. Deren Repräsentanten stehen hier buchstäblich auf den Leichen von KZ-Häftlingen. Zurückgenommen wird der zuversichtliche Ansatz aber schon im nächsten Bild: »Lauschangriff und Berufsverbot« (siehe den Rücktitel dieser antifa), in dem Zingerl konkrete Berufsverbotserfahrungen, die seiner im Wissenschaftsbereich tätigen Frau Ingrid und ihm selbst widerfuhren, mit aktuellen Überwachungs- und Bespitzelungsszenarien kombiniert.

Die »Trotz-alledem«-Ausstellung war zu Beginn dieses Jahres im oberbayerischen Puchheim zu sehen. Nun hat Fürstenfeldbruck, Heimatstadt der Zingerls seit 1980, nachgezogen. Im Laufe der Jahrzehnte gab es da zwar einige Preise und Ehrungen, offizielle Bildankäufe auch. Doch es sollte dauern, bis diese Werke, befreit aus den Depots, endlich wieder einmal der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Jetzt allerdings in edler barocker Umgebung und einen wichtigen Anlass flankierend. Dazu der Kulturpublizist Werner Dreher in seiner Laudatio: »Die Stadt würdigt den wohl bedeutendsten bildenden Künstler in ihren Mauern mit einer großen Einzelausstellung in diesen wunderbaren Räumen anlässlich des Doppeljubiläums ‚80 Jahre Guido Zingerl’ und ‚750 Jahre Kloster Fürstenfeld’.«

Auf zwei Etagen ausgestellt sind der Zyklus »Große Amperlandschaft. Erkundungen entlang des Flusses« mit vielfältigen Geschichtsbezügen, das nahe KZ Dachau inbegriffen, und weitere Werke aus städtischen Sammlungen. Und ganz Neues: der Künstler hat sich in prächtigen Farben des Klosterjubiläums angenommen, erzählt auf seine Art von ökonomischen und politischen Wurzeln des Prachtbaus. Um den »Tanz um’s goldene Kalb« (so der Ausstellungstitel) geht es, um Ablassprediger, um den Bayernherzog Ludwig (»der Strenge«), der seine der Untreue verdächtigte Gemahlin enthaupten ließ. Und um die als »Sühneleistung« erfolgte Klostergründung. Und sonst noch um allerlei, das sich da im Lauf der Jahrhunderte abgespielt hat.

In einem Gedicht zu seinem »Trotz-alledem«-Zyklus zitiert Guido Zingerl »Bruder Müntzer«, »Bruder Marx« und »Bruder Mandela« heran und meint: »Als wenn es ein Leben gäbe ohne sie / Ohne Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit / Ohne das Gespenst, das umgeht, immer noch, ruhelos, suchend und versuchend, / aber notwendig«. »Ich bin hoffnungslos wahnwitzig.«, folgert Zingerl. Wir hoffen, dass das noch lange so bleibt.