»Wir wollen unsere Grundrechte!«

11. September 2013

Gespräch mit einer Bewohnerin des Kreuzberger Protestcamps von Flüchtlingen

 

antifa: Es gab ja schon viele Protestaktionen zuvor, wie ist es zu dem Camp gekommen?

Karima: Die Geschichte des Camps beginnt mit einem tragischen Ereignis. Anfang 2012 tötete sich ein Flüchtling wegen der unmenschlichen Bedingungen, unter denen Asylsuchende hier in Deutschland zumeist leben, in seinem Zimmer in einem Flüchtlingslager in Würzburg. Dieser Selbstmord, nicht der erste Selbstmord eines Flüchtlings, wie wir alle wissen, war der Anlass für eine Vielzahl von politischen Aktionen zur Verbesserung unserer Lebensbedingungen, die seitdem anhalten. Seitdem leben wir hier ziemlich improvisiert in Zelten, haben eine Bühne, einen Infopunkt, ein großes Gemeinschaftszelt. Ein offenes Camp also, mit dem wir unsere Anliegen direkt an die Leute bringen wollen.

Zunächst fanden aber regionale Demonstrationen in Bayern statt, die dann bald auch auf andere Städte übergriffen und an denen sich Flüchtlinge und Deutsche gemeinsam beteiligten. Das gipfelte dann in der Idee, einen Protestmarsch von Würzburg in die Hauptstadt Berlin durchzuführen. Zeitgleich gab es eine weitere Flüchtlingskarawane, hauptsächlich durch Nordrhein-Westfalen, die sich Anfang Oktober mit den Teilnehmenden des Flüchtlingsmarsches in Potsdam traf, um von dort gemeinsam nach Berlin zu ziehen. Berlin war unser Ziel, um den Protest direkt zu den Politikerinnen und Politikern zu tragen, die durch ihre Politik verantwortlich sind für die Bedingungen, unter denen Flüchtlinge in Deutschland zu leben haben. Unterstützerinnen und Unterstützer hatten hier auf dem Oranienplatz mitten im Herzen Deutschlands das Zeltlager errichtet, das wir am 6. Oktober 2012 bezogen. Wir sind also seit einem knappen Jahr hier.

 

antifa: Was sollte sich für Flüchtlinge in Deutschland ändern? Welche Forderungen erhebt ihr?

Karima: Wir wollen nicht sterben. Mit all unseren Aktionen wehren wir uns dagegen, dass uns die Grundrechte, die jedem Menschen durch das Grundgesetz zugesichert werden, verweigert bleiben. Wir wollen unsere Grundrechte! Dazu gehört die Bewegungsfreiheit. Die Residenzpflicht muss endlich abgeschafft werden. Wir wollen auch, dass die Lagerunterbringung aufgehoben wird. Denn die Lagerunterbringung bedeutet für uns Isolation. Die Würde des Menschen sei unantastbar, heißt es. Doch: Wo bleibt meine Würde, wenn ich in einem Lager untergebracht bin?

Wir wollen arbeiten und unsere Kinder sollen Schulen besuchen können. Die derzeit herrschenden Unterbringungsbedingungen treiben viele von uns in Drogen- oder Alkoholabhängigkeiten und in psychische Krankheiten. Manchmal lassen die Behörden Asylsuchende über viele Jahre hinweg über ihren Status im Unklaren. Das ist für die Betroffenen unerträglich. Deshalb fordern wir ein Ende der Abschiebungen.

 

antifa: Wie lange bleibt ihr im Camp?

Karima: Wir gehen dann, wenn unsere Forderungen erfüllt werden. Ansonsten bleiben wir solange, bis sie erfüllt werden oder das Lager geräumt wird.

antifa: In einigen Bundesländern, wie etwa Brandenburg oder auch Berlin, sind entscheidende Lockerungen bei der Residenzpflicht durchgesetzt worden. Im Ilmkreis in Thüringen hat die Linke-Landrätin die Lagerunterbringung beendet. Ist das nicht ein Grund zur Hoffnung?

Karima: Ja. Das stimmt. Wir wollen aber gleiche Rechte für alle Flüchtlinge in ganz Deutschland. Was ist denn mit den Flüchtlingen in Bayern, Sachsen oder in Hamburg? Und deshalb müssen die entsprechenden Bundesgesetze geändert werden.

Ich etwa breche die Residenzpflicht und reise auch in andere europäische Länder. Ich war bereits in Italien, Frankreich, Österreich und habe mich dort mit anderen Flüchtlingen und Aktivistinnen und Aktivisten getroffen, um über die Verbesserung unserer Situation zu reden.

 

antifa: Was möchtest Du den deutschen Politikerinnen und Politikern sagen?

Karima: Hier in Kreuzberg hat uns der grüne Bürgermeister Schulz (seit dem 1.8.2013 ist seine Nachfolgerin, Monika Herrmann, im Amt. die Redaktion) sehr unterstützt. Was ich nicht verstehe, ist, weshalb viele Politiker Geschäfte mit den Regimen in unseren Ländern befürworten. Viele Geschäfte dienen denen, ihre Armeen zu stärken und Kriege zu führen. Zugleich gibt es jedoch keine Entwicklung der Gesellschaft. Es werden keine Schulen, keine Krankenhäuser gebaut. So produziert der Westen einen Teil der Flüchtlinge selbst. Viele von uns sind gut ausgebildet, sind Journalisten oder Lehrer. Hier werden wir in Lager gesteckt und dürfen uns nicht bewegen, dürfen nicht arbeiten. So verlieren viele die Hoffnung. Und dann müssen wir hier auch von Politikern hören, wir kämen her, um den Leuten die Jobs wegzunehmen, um unsere Familien herzubringen, würden nur Geld kosten. Warum erlaubt ihr uns nicht, zu arbeiten? Warum können wir uns nicht einbringen?